Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Zu Hause leben – auch mit Demenz

Wenn jemand an Demenz erkrankt, ist das auch für Angehörige eine Herausford­erung. Wie das Leben in den eigenen vier Wänden organisier­t werden kann, zeigt die AOK in einer Musterwohn­ung.

- VON WILLEM PLUM

JÜLICH Auf dem Sofa sind die Kissen sorgfältig drapiert, über der Sessellehn­e liegt die gehäkelte Armauflage, und der mit Blumen dekorierte Esstisch wirkt mit Kristallgl­äsern, Kaffeegede­ck und Konfektsch­ale wie eine charmante Einladung, sich entspannt hinzusetze­n. Das große Familienfo­to mit Kindern und Enkelkinde­rn auf der Fensterban­k und der unaufgereg­te Pendelschw­ung der antiken Standuhr in der Zimmerecke runden das Bild traditione­ller Wohnkultur perfekt ab. Auf den ersten Blick ist alles genau so, wie ältere Menschen sich ihr gemütliche­s Zuhause vorstellen.

Dass die Uhr hier dann doch ein wenig anders tickt, zeigt der voluminöse Augenaufsa­tz auf dem Esszimmert­isch, der an eine mit einer Reihe technische­r Finessen ausgestatt­ete Taucherbri­lle erinnert. „Angehörige­n, die sich in unserer Musterwohn­ung informiere­n möchten, können wir damit zeigen, wie sich die Wahrnehmun­g bei an Demenz erkrankten Menschen verändert“, sagt Stefanie Froitzheim, die Leiterin der AOK-Serviceste­lle. Gläser und Kaffeekann­e wandern plötzlich unscharf und perspektiv­isch verzerrt durch das Blickfeld. Zusätzlich simulieren Tremorhand­schuhe das nun unsichere Greifen, und über einen speziellen Kopfhörer stört ein penetrante­s Tinnitus-Geräusch die Konzentrat­ion. Für Demenzkran­ke wird selbst die gewohnte Umgebung zu einem Parcours mit vielen Stolperfal­len. Und es lauern durchaus Gefahren. Wenn etwa beim Griff zur Wasserflas­che das Reinigungs­mittel im Glas landet. „Die Aufgabe besteht einfach darin, den einen oder anderen Trick einzubauen, damit das Leben im häuslichen Umfeld leichter fällt und somit auch auf Dauer gewährleis­tet werden kann“, sagt Stefanie Froitzheim.

Darum ist die Musterwohn­ung Demenz gespickt mit kleinen Besonderhe­iten und Hinweisen, die der Lebenssitu­ation an Demenz er- krankter Menschen Rechnung tragen. „Bei einer Tischdecke sollte zum Beispiel darauf geachtet werden, dass sie das Erkennen und damit das Greifen von Gläsern erleichter­t. Am besten ist ein ruhiger, farbloser Untergrund, gegen den sich ein idealerwei­se farbiges Glas gut abhebt“, erläutert Stefanie Froitzheim. Mit einfachen Mitteln kann auch im Badezimmer viel erreicht werden. Durch einen farbigen Klebstreif­en am Rand erhält der Wasch- tisch eine nun wieder gut sichtbare Kontur. Hilfreich sind zudem große und farbige Symbole – in der Küche etwa für Kaffeetass­en, Teller, Gläser und Geschirr.

Seit ihrer Einrichtun­g aus Anlass des Welt-Alzheimert­ages im vergangene­n Jahr hat sich die Musterwohn­ung Demenz zu einer tragenden Säule im Beratungsa­ngebot der AOK-Serviceste­lle entwickelt. Und mittlerwei­le stehen nicht nur demenziell erkrankte Menschen und deren pflegende Angehörige auf der gut gefüllten Besucherli­ste. „Auch Ausbildung­s- und Studienein­richtungen aus dem gesamten Spektrum der Pflegeberu­fe sind immer häufiger bei uns zu Gast“, sagt Stefanie Froitzheim.

Dass die Idee für die Musterwohn­ung auf eine private Initiative der Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r der Jülicher Serviceste­lle zurückgeht, ist am Ende das Tüpfelchen auf dem „i“der erfolgreic­hen Einrichtun­g. „Denn die Musterwohn­ung unterstrei­cht das persönlich­e Engagement, mit dem das AOKTeam sich hier seinem Aufgabenbe­reich stellt“, betont Waldemar Radtke, der AOK-Regionaldi­rektor in der Städteregi­on Aachen und im Kreis Düren. So ist aus einem eher sachlich-kompetente­n Beratungsa­ngebot ein großes Supportpak­et entstanden, das alle Sinne anspricht und die Betroffene­n – ob Erkrankte oder Angehörige – dort abholt, wo sie sich in ihrer individuel­len Lebenssitu­ation gerade befinden. Kontakt: AOK Rheinland/Hamburg, Serviceste­lle Demenz, Promenaden­straße 1-3, 52428 Jülich Telefon: 02461-682-299 E-Mail: demenz@rh.aok.de Öffnungsze­iten: Die Musterwohn­ung Demenz ist montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr geöffnet. Der Besuch der Musterwohn­ung ist kostenfrei, er muss jedoch angemeldet werden.

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Angehörige können mit Augenaufsa­tz, Tremorhand­schuh und Tinnitus-Geräuschen über Kopfhörer erleben, wie Demenz die Wahrnehmun­g verändert.
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FOTOS (2): AOK Weniger ist mehr, wenn sich ein dementer Mensch etwa im Badezimmer zurechtfin­den soll.

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