Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Zu Hause leben – auch mit Demenz
Wenn jemand an Demenz erkrankt, ist das auch für Angehörige eine Herausforderung. Wie das Leben in den eigenen vier Wänden organisiert werden kann, zeigt die AOK in einer Musterwohnung.
JÜLICH Auf dem Sofa sind die Kissen sorgfältig drapiert, über der Sessellehne liegt die gehäkelte Armauflage, und der mit Blumen dekorierte Esstisch wirkt mit Kristallgläsern, Kaffeegedeck und Konfektschale wie eine charmante Einladung, sich entspannt hinzusetzen. Das große Familienfoto mit Kindern und Enkelkindern auf der Fensterbank und der unaufgeregte Pendelschwung der antiken Standuhr in der Zimmerecke runden das Bild traditioneller Wohnkultur perfekt ab. Auf den ersten Blick ist alles genau so, wie ältere Menschen sich ihr gemütliches Zuhause vorstellen.
Dass die Uhr hier dann doch ein wenig anders tickt, zeigt der voluminöse Augenaufsatz auf dem Esszimmertisch, der an eine mit einer Reihe technischer Finessen ausgestattete Taucherbrille erinnert. „Angehörigen, die sich in unserer Musterwohnung informieren möchten, können wir damit zeigen, wie sich die Wahrnehmung bei an Demenz erkrankten Menschen verändert“, sagt Stefanie Froitzheim, die Leiterin der AOK-Servicestelle. Gläser und Kaffeekanne wandern plötzlich unscharf und perspektivisch verzerrt durch das Blickfeld. Zusätzlich simulieren Tremorhandschuhe das nun unsichere Greifen, und über einen speziellen Kopfhörer stört ein penetrantes Tinnitus-Geräusch die Konzentration. Für Demenzkranke wird selbst die gewohnte Umgebung zu einem Parcours mit vielen Stolperfallen. Und es lauern durchaus Gefahren. Wenn etwa beim Griff zur Wasserflasche das Reinigungsmittel im Glas landet. „Die Aufgabe besteht einfach darin, den einen oder anderen Trick einzubauen, damit das Leben im häuslichen Umfeld leichter fällt und somit auch auf Dauer gewährleistet werden kann“, sagt Stefanie Froitzheim.
Darum ist die Musterwohnung Demenz gespickt mit kleinen Besonderheiten und Hinweisen, die der Lebenssituation an Demenz er- krankter Menschen Rechnung tragen. „Bei einer Tischdecke sollte zum Beispiel darauf geachtet werden, dass sie das Erkennen und damit das Greifen von Gläsern erleichtert. Am besten ist ein ruhiger, farbloser Untergrund, gegen den sich ein idealerweise farbiges Glas gut abhebt“, erläutert Stefanie Froitzheim. Mit einfachen Mitteln kann auch im Badezimmer viel erreicht werden. Durch einen farbigen Klebstreifen am Rand erhält der Wasch- tisch eine nun wieder gut sichtbare Kontur. Hilfreich sind zudem große und farbige Symbole – in der Küche etwa für Kaffeetassen, Teller, Gläser und Geschirr.
Seit ihrer Einrichtung aus Anlass des Welt-Alzheimertages im vergangenen Jahr hat sich die Musterwohnung Demenz zu einer tragenden Säule im Beratungsangebot der AOK-Servicestelle entwickelt. Und mittlerweile stehen nicht nur demenziell erkrankte Menschen und deren pflegende Angehörige auf der gut gefüllten Besucherliste. „Auch Ausbildungs- und Studieneinrichtungen aus dem gesamten Spektrum der Pflegeberufe sind immer häufiger bei uns zu Gast“, sagt Stefanie Froitzheim.
Dass die Idee für die Musterwohnung auf eine private Initiative der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jülicher Servicestelle zurückgeht, ist am Ende das Tüpfelchen auf dem „i“der erfolgreichen Einrichtung. „Denn die Musterwohnung unterstreicht das persönliche Engagement, mit dem das AOKTeam sich hier seinem Aufgabenbereich stellt“, betont Waldemar Radtke, der AOK-Regionaldirektor in der Städteregion Aachen und im Kreis Düren. So ist aus einem eher sachlich-kompetenten Beratungsangebot ein großes Supportpaket entstanden, das alle Sinne anspricht und die Betroffenen – ob Erkrankte oder Angehörige – dort abholt, wo sie sich in ihrer individuellen Lebenssituation gerade befinden. Kontakt: AOK Rheinland/Hamburg, Servicestelle Demenz, Promenadenstraße 1-3, 52428 Jülich Telefon: 02461-682-299 E-Mail: demenz@rh.aok.de Öffnungszeiten: Die Musterwohnung Demenz ist montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr geöffnet. Der Besuch der Musterwohnung ist kostenfrei, er muss jedoch angemeldet werden.