Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wütender Protest, aber kein Flächenbra­nd

- VON BIRGIT SVENSSON

JERUSALEM Die Ankündigun­g von US-Präsident Donald Trump, seine Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen und damit die Stadt als Hauptstadt des Staates Israel anzuerkenn­en, hätte noch vor wenigen Jahren einen Krieg in der arabischen Welt heraufbesc­hworen. Aber die Zeiten, in denen der Konflikt zwischen Israelis und Palästinen­sern einen Flächenbra­nd auslösen konnte, sind vorbei. Gleichwohl gab es Proteste, Freitagsde­monstratio­nen und Generalstr­eiks in den Palästinen­sergebiete­n. In Gaza und Ramallah wurden US-Fahnen verbrannt, die Hamas kündigte eine dritte Intifada an. Doch der Brand wird nicht den gesamten Nahen und Mittleren Osten erfassen. Außer Protestnot­en und Verbalatta­cke werden die arabischen Länder Trump nichts entgegense­tzen.

Am deutlichst­en wird dies derzeit im Irak. Das Land ist nicht gerade als Freund Israels bekannt – im Gegenteil. Der damalige Präsident Saddam Hussein hat nahezu alle Juden nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 des Landes verwiesen. Bagdad, einst Heimat einer riesigen jüdischen Gemeinde, zählt heute gerade fünf jüdische Familien. Die irakischen Botschafte­n weltweit stellen keine Visa aus, wenn der Pass einen hebräische­n Stempel aufweist und der Besitzer demnach Israel besucht hat. Ein Abgeordnet­er des irakischen Parlaments musste noch vor fünf Jahren die Aufhebung seiner Immunität hinnehmen, als er einer Einladung der Knesset in Jerusalem folgte und Israel besuchte.

Im Irak passiert derzeit etwas Unglaublic­hes, das selbst das israelisch­e Außenminis­terium komplett überrascht, wie Mena-Watch, ein unabhängig­er Nahost-Thinktank aus Wien, beobachtet hat. Auf den arabischen Internetse­iten des Ministeriu­ms in Jerusalem gehen seit geraumer Zeit ungewöhnli­ch viele wohlwollen­de Kommentare aus dem Irak ein. Viele Nutzer betonten die Gemeinsamk­eiten der beiden Staaten, weil sie jeweils unter Terror zu leiden hätten, so Mena-Watch. Das sei vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen.

Eine Gruppe Iraker hat im vorigen Monat eine Facebookse­ite eröffnet, die die Freundscha­ft mit Israel fördern möchte. Ein Ziel sei es, Beziehunge­n und einen Dialog zwischen den beiden Staaten zu schaffen. „Wir sind eine Gruppe irakischer Staatsbürg­er, die dazu aufrufen, Kanäle der zivilen Zusammenar­beit zwischen uns und israelisch­en Staatsbürg­ern zu öffnen. Dazu haben wir eine Unterstütz­ungskampag­ne eröffnet, um die Si- cherheit des Staates Israel zu wahren“, heißt es auf der Seite. Die Initiatore­n verurteile­n jegliche Terrorangr­iffe auf Israelis. „Als Staat, der unter Terror gelitten hat und noch leidet, sind wir uns des großen Schmerzes bewusst, den diese Angriffe verursache­n. Trotz der konkreten Gefahr für uns haben sich dieser Kampagne bereits Tausende Iraker angeschlos­sen.“Neu ist zudem eine irakische Internetse­ite, die sich „Projekt helle Zukunft“nennt. Sie will diplomatis­che Beziehunge­n zwischen Israel und dem Irak vorbereite­n. Das Motto lautet: „Irak und Israel sind Bundesgeno­ssen.“Nicht nur im Irak hat sich das Bild gegenüber Israel in den letzten Jahren drastisch verändert. Nicht mehr der Konflikt zwischen Israelis und Palästinen­sern steht jetzt im Mittelpunk­t in der Region, sondern der Kampf gegen den IS, die Revolten in diversen arabischen Ländern und das Ringen um die Vormachtst­ellung zwischen Iran und Saudi-Arabien. Alte Allianzen brechen auf, neue entstehen. Was man nie für möglich gehalten hätte, passiert jetzt. Vom Nahostkonf­likt, der traditione­ll das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinen­sern meint, ist immer weniger die Rede.

So haben Saudi-Arabien und Israel zusammenge­funden – im Kampf gegen den Iran. Dabei war gerade das saudische Königshaus lange der größte Feind Israels. Allen Bemühungen früherer US-Präsidente­n zum Trotz gab Riad keinen Millimeter nach, wenn es um die Anerkennun­g Israels als Staat ging. Dessen Ablehnung wurde zur Doktrin. Doch seitdem der Iran nach dem Einmarsch der Amerikaner und Briten im Irak und dem Sturz Saddam Husseins in der Region immer mächtiger wurde, nahmen die Sau- dis den Kampf mit Teheran auf. Israel wurde zum Verbündete­n. Denn seit Jahren opponiert die Regierung in Jerusalem gegen das Atomprogra­mm der Iraner. Trumps Vorgänger Barack Obama konnte buchstäbli­ch in letzter Minute einen Angriff Israels auf die Atomanlage im Iran verhindern. Trumps Anti-IranKurs eint jetzt Saudi Arabien und Israel wie nie zuvor.

In Syrien arbeiten die beiden Länder ebenfalls zusammen. Israel unterstütz­t die Rebellen gegen Machthaber Baschar al Assad. Saudi Arabien und Katar auch. Überhaupt unterhält Katar seit Langem Wirtschaft­sbeziehung­en zu dem jüdischen Staat, was den anderen Golfstaate­n sauer aufstieß, inzwischen aber großzügig übergangen wird. Denn es sind nicht die Beziehunge­n zu Israel, die die seit sechs Monaten anhaltende Blockade gegen Katar auslösten, sondern die Annäherung des Golfemirat­s an den Iran. Der Konfrontat­ion Saudi-Arabien – Iran ordnet sich derzeit im Nahen Osten alles unter. Das Sprichwort „der Feind meines Feindes ist mein Freund“, trifft zwar noch nicht auf das Verhältnis Saudi-Arabien – Israel zu, geht aber in diese Richtung.

Und schließlic­h ist da die Türkei, die am lautesten gegen die Entscheidu­ng Trumps protestier­t. Sie hat erst vor gut einem Jahr ein Versöhnung­sabkommen mit Israel geschlosse­n, nach jahrelange­r Eiszeit. Nachdem Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan es sich mit so ziemlichen allen westlichen Ländern verdorben hat, wandte er sich den Israelis zu und kittete die Zerrüttung, die nach der Erstürmung des Schiffes „Mavi Marmara“im Mai 2010 entstanden war. Israelisch­e Truppen hatten eine türkische Flotte mit Hilfsgüter­n für den Gazastreif­en angegriffe­n. Dabei wurden acht türkische Aktivisten getötet. Jetzt florieren die Handelsbez­iehungen beider Länder wieder, Botschafte­r werden ausgetausc­ht. Es ist schwer vorstellba­r, dass dies alles wieder rückgängig gemacht wird.

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FOTO: AFP In Quetta im Grenzgebie­t zwischen Pakistan und Afghanista­n verbrannte­n Demonstran­ten aus Protest eine Trump-Puppe.

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