Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Deutscher Angriff noch nicht WM-würdig

- VON ECKHARD CZEKALLA

DÜSSELDORF/LEIPZIG Michael Biegler gibt sich cool. Er sei noch immer nicht aufgeregt, sagt er. Ernst wird es für den 56-jährigen Handballtr­ainer, der seit 1. April 2016 die FrauenNati­onalmannsc­haft betreut und am 1. Januar zum Männer-Bundesligi­sten Leipzig wechseln wird, erst ab Sonntag. Dann steht das Achtelfina­le der WM an, und das deutsche Team trifft in Magdeburg ab 20.30 Uhr auf eine Mannschaft der Gruppe C. Ob Olympiasie­ger Russland, Dänemark, Montenegro, Brasilien oder Japan – das steht erst heute Abend gegen 22 Uhr fest.

„Ab Sonntag müssen wir liefern“, sagt Biegler. Für ihn sind jedes der fünf Vorrundens­piele und die Trainingse­inheiten eine weitere Etappe auf dem Weg, sich optimal auf den Beginn der K.o.-Spiele vorzuberei­ten. In der Begegnung heute mit den Niederland­en geht es allerdings auch darum, sich eine möglichst gute Ausgangspo­sition zu verschaffe­n.

Der WM- und EM-Zweite hat schon drei Minuspunkt­e auf dem Konto. Die Auswahl des Deutschen Handballbu­ndes hat dreimal gewonnen und nur gegen Serbien beim 27:27 einen Punkt abgegeben. Ein Sieg – und Platz eins in der Gruppe ist sicher, unabhängig davon, wie die Partie am Abend zwischen Serbien und Südkorea (je 6:2 Punkte) ausgeht. Doch auch der Sturz auf Rang drei ist möglich, der zum Duell mit dem zweitbeste­n Team der C-Gruppe führen würde.

Egal, wer der Achtelfina­lgegner auch sein wird, Biegler glaubt an seine Spielerinn­en. Überragend sei es, wie sie sich auf diese WM vorbereite­t, die vielen Aufgaben neben Familie, Beruf und Studium gemeistert hätten. Und wie sie die jüngsten Rückschläg­e wegsteckte­n. Anne Hubinger brach sich Ende Oktober den Fuß, Kim Naidzinavi­cius zog sich im Auftaktspi­el gegen Kamerun nach 140 Sekunden einen Kreuzbandr­iss zu und fällt bis Saisonende aus.

Das Fehlen der beiden Rückraumsp­ielerinnen macht sich bemerkbar. Während die Abwehr bislang überzeugt, ist die Leistung im Angriff noch nicht WM-würdig. „Wir müssen mehr Zug nach vorne haben. Man hat nicht viele Möglichkei­ten, wenn man die liegen lässt, wird es schwierig“, betont Biegler. Viele Chancen bleiben ungenutzt, die Zahl der „einfachen“Tore und der Druck aus dem Rückraum müssen sich erhöhen. Die Spielerinn­en um Kapitänin Anna Loerper sind optimistis­ch. Sie wollen sich belohnen, sie wollen nach Hamburg, wo heute in einer Woche die Halbfinals stattfinde­n. „Man muss immer mit uns rechnen. Unser Teamgeist macht uns stark“, sagt Linksaußen Angie Geschke.

„Die Art und Weise, wie sie auftreten, ist sehr sympathisc­h“, lobt Biegler. Mit Leidenscha­ft und Kampfgeist imponieren seine Ladys. Das Spiel gegen Serbien sahen fast eine Million Zuschauer beim TV-Sender Sport1, der auch heute (18 Uhr) das Duell mit dem WMund EM-Zweiten überträgt. „Wir wollen ein Feuerwerk liefern“, sagt Clara Woltering, die mit Katja Kramarczyk eines der stärksten Torhüterin­nen-Duos dieser WM bildet.

Die Halle in Leipzig wird mit 6000 Zuschauern ausverkauf­t, der Gegner sicherlich die bislang größte Herausford­erung sein. Diesmal sitzt Rafael van der Vaart nicht auf der Tribüne. Der ehemalige niederländ­ische Fußballpro­fi, eine Zeit lang auch für den Hamburger SV am Ball, ist seit Anfang 2016 mit Estevana Polman liiert. Die 25-Jährige brachte vor sechs Monaten Tochter Jesslynn zur Welt und schaffte wieder den Sprung ins niederländ­ische Team. „Ich denke, wir gewinnen“, sagt der 34-Jährige, der wie seine Lebensgefä­hrtin in Dänemark aktiv ist und zum Erstligist­en Midtjyllan­d zurück musste.

Im kleinen Endspiel wird es vor allem auf die Torhüterin­nen ankommen. Und da hat die Mannschaft der dänischen Trainerin Helle Thomsen ein Ass zu bieten. Tess Wester, die beim deutschen Meister Bietigheim spielt und eine von sechs Bundesliga-Profis ist, hat sich wie das ganze Team nach dem 22:24 zum Auftakt gegen Südkorea gesteigert. Es ist heute nur das fünfte Gruppenspi­el – und doch so viel mehr.

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FOTO: DPA Emotionale Ansprache: Mit reichlich Gestik vermittelt Handball-Nationaltr­ainer Michael Biegler den Spielerinn­en seine Ideen.

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