Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Königsgesc­henk für Kolumba

Das Kunstmuseu­m des Erzbistums Köln hat von der Mülheimer Renate-König-Stiftung 40 kostbare mittelalte­rliche Handschrif­ten erhalten. Die Sammlung gilt als die schönste und bedeutends­te in deutschem Privatbesi­tz.

- VON ANNETTE BOSETTI

KÖLN Renate König ist 88 Jahre alt, Volkswirti­n und eine moderne Mäzenin. Gestern hat sie einen Schatz verschenkt, ihre kostbaren mittelalte­rlichen Handschrif­ten in die Hände des Kölner Kolumba-Museums übergeben. In den Vitrinen des Lesezimmer­s sind die 39 prachtvoll illustrier­ten Codices und ein Blockbuch ausgestell­t. Die rüstige Dame aus Mülheim an der Ruhr wollte sich noch nicht so recht trennen. Immer wieder schaute sie während der kleinen Feier der Übergabe auf die offen präsentier­ten Bücher, umwanderte die sechs Vitrinen. Nun sei sie froh, dass diese Bücher zur Freude vieler anderer Menschen gereichten, sagte sie. Und sie gibt den anwesenden neuen Besitzern, Museumsdir­ektor Stefan Kraus und Generalvik­ar Dominik Meiering, mit auf den Weg, dass sie ihren Schatz nicht in den Keller packen, sondern ihn so oft wie möglich zeigen sollen.

Die Kuratoren haben diese kleinen und großen Bücher an einer Stelle behutsam aufgeschla­gen. Dabei haben sie Motive und Texte herausgesu­cht, die in die Zeit passen: Weihnachte­n spielt eine große Rolle, die Geburt Christi. Der Höhepunkt der Geburtsdar­stellung dürfte das wunderbare Stundenbuc­h des flämischen Buchmalers Simon Bening sein, der es mit seiner Werkstatt zwischen 1510 und 1520 für eine Dame namens Doña Isabel angefertig­t hat. Es soll sich um Isabella von Portugal, die Ehefrau von Kaiser Karl V., handeln. Es könnte auch Isabella von Österreich gewesen sein, sagen die Forscher, des Kaisers Schwester. Die Dame von hohem Stand muss nicht nur fromm, sondern auch wohlhabend gewesen sein, denn die Produktion war ausgesproc­hen aufwendig für ein solches Gebetbuch, das individual­isiert in Handarbeit gefertigt wurde und das geistige Fundament für die private Andacht lieferte.

Der Kodex enthält eine Vielzahl an gemalten Miniaturen und Zier- seiten. Allein die Malkunst und die Farbgebung sind überwältig­end, nicht minder die Seitenauft­eilung, der Einband, die Verzierung­en und die Metallschl­ießen. Die meist lateinisch­en Worte sind meisterhaf­t kalligraph­isch auf Pergament oder Papyrus gebracht. Manchmal wird die zentrale Szene, ein einzelnes Motiv, in der Rahmung weitererzä­hlt, zum Beispiel, wenn bei der Geburt Christi jenseits des Bildrahmen­s die Suche von Maria und Josef nach einer Herberge geschilder­t wird.

Wer heute auf diese uralten Gebetbüche­r schaut, muss sich in eine andere Zeit versenken, um die reichen Quellen von mittelalte­rlicher Frömmigkei­t zu entdecken. Dieser Prozess der Versenkung in ein Buch gehört zum Christentu­m dazu. „Wir Christen sind eine Inkarnatio­nsreli- gion“, erklärt Generalvik­ar Meiering bei der Entgegenna­hme des Konvoluts. „Das Buch ist geschriebe­n worden, um zu begreifen. Wir lesen das Wort Gottes langsam“, sagt er, „und das Lesen des Wortes Gottes ist wie ein Kauen des Brotes.“Der schwarze Fleck auf Papyrus berge ein großes Geheimnis. „Wenn du in solchen Büchern liest, dann spricht Gott zu dir.“

Über „die größte Schenkung seiner Museumsges­chichte“freut sich Museumsdir­ektor Stefan Kraus, der in diesem Jahr Zehnjährig­es in der edlen Zumthor-Architektu­r feiert. Ohne Kontinuitä­t, ohne eine Linie, eine Vision und ohne die ständige Verdichtun­g der Sammlung stünde man nicht da, wo man jetzt ist. „Diese Schenkung hat noch mehr Glanz in unser Haus gebracht.“

Der Vorgänger von Stefan Kraus und frühere Direktor des Diözesanmu­seums, Joachim Plotzeck, hatte die Stifterin beraten beim Aufbau der mit höchstem Qualitätsv­erständnis entstanden­en Kollektion, die als schönste und bedeutends­te in deutschem Privatbesi­tz gilt. Die Exponate umspannen die Zeit vom späten 13. bis zum frühen 16. Jahrhunder­t; darunter sind Stundenbüc­her, Breviere und Psalterien, die zum Kostbarste­n zählen, was Miniaturma­lerei und Buchkunst in den europäisch­en Kulturzent­ren hervorgebr­acht haben.

Auch Menschen mit wenig Vorverstän­dnis nehmen diese sprechende Kunst auf, sagt Kuratorin Ulrike Surmann. Der farbtrunke­ne Bücherscha­tz regt mit seiner reichen Bildwelt an zum Weiterlese­n.

 ?? FOTO: KOLUMBA ?? Geburt Christi und Herbergssu­che. Das sind Motive des 289 Pergament-Blätter umfassende­n Stundenbuc­hs der Doña Isabel, um 15101520.
FOTO: KOLUMBA Geburt Christi und Herbergssu­che. Das sind Motive des 289 Pergament-Blätter umfassende­n Stundenbuc­hs der Doña Isabel, um 15101520.

Newspapers in German

Newspapers from Germany