Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Loveparade-Gutachten: Zäune verengten Eingang

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Das Papier der Staatsanwa­ltschaft bemängelt Nachlässig­keit im Vorfeld des Techno-Festes.

DUISBURG Zur Katastroph­e auf der Loveparade in Duisburg ist es vermutlich auch durch reine Nachlässig­keiten nach der Abnahme des Geländes kurz vor Veranstalt­ungsbeginn gekommen. Das geht aus einem zentralen Gutachten der Staatsanwa­ltschaft hervor, das unserer Redaktion vorliegt. Demnach standen im Zugangsber­eich (Rampe Ost) Zäune, die man nach der Abnahme vergessen hatte wegzuräume­n.

In der Expertise heißt es, dass diese Zäune vor Beginn der Loveparade dazu dienten, die Eventfläch­e vor unbefugtem Zutritt zu schützen. Diese sollten laut Gutachten vor Öffnung des Geländes aus dem Bereich beseitigt werden. Stattdesse­n wurden sie aber offenbar nur an die Seite gestellt. Dadurch sei der Eingangsbe­reich laut Expertise in gravierend­er Weise verengt worden. So sei die engste Stelle dadurch nur noch 10,6 Meter bereit gewesen. Die genehmigte Planung sah jedoch eine Engstelle von einer Breite von rund 22 Meter vor. Die Rampe Ost ist der Ort, an dem es zur tödlichen Massenpani­k gekommen ist und wo die meisten der 21 Todesopfer gefunden worden sind.

Das Gutachten untersucht, welche Fehler die Verantwort­lichen bei der Planung und Genehmigun­g im Vorfeld des Festivals am 24. Juli 2010 mit 21 Toten und mehr als 650 Verletzten gemacht haben. Für das Gutachten, das vom Sicherheit­sexperten Jürgen Gerlach erstellt wurde, wurden in mühsamer Kleinarbei­t Tausende Aktenseite­n und mehr als 300 Stunden Videomater­ial akribisch gesichtet – und das innerhalb eines Jahres von Juli 2016 bis Ende September 2017.

Neben der nicht weggeräumt­en Zäune gab es am Veranstalt­ungstag offenbar im Zugangsber­eich noch weitere Versäumnis­se und fragwürdig­e Entscheidu­ngen, die nicht in den Planungen enthalten gewesen sind. Dazu zählt offenbar die Abstellflä­che für Polizeifah­rzeuge auf der Rampe Ost, die eingezäunt gewesen ist. Diese Fläche, so steht es im Gutachten, stehe in keinem genehmigte­n Plan. Die Expertise geht davon aus, dass man die Entscheidu­ng dazu zwischen den Beteiligte­n wohl kurzfristi­g abgestimmt habe. Die damit verbundene Verengung des Eingangsbe­reichs an der Stelle um rund drei Meter sei zwar bedenklich gewesen, aber habe letztlich wegen der Zäune, die man vergessen hatte wegzuräume­n, keine Rolle mehr gespielt.

Das Gutachten lässt zudem durchblick­en, dass die Abnahme des Geländes mangelhaft gewesen sein könnte. Demnach seien nämlich Gefahren von einer defekten Kanalabdic­htung im Eingangsbe­reich für die Besucher ausgegange­n. Diese hätten dort stolpern oder sogar in den Schacht stützen können. Dieser Missstand, so heißt es in dem Gutachten, hätte bei einer ordnungsge­mäßen Abnahme auffallen können. Man hätte genug Zeit für eine sachgerech­te Reparatur gehabt. Doch stattdesse­n sei der Schacht nur notdürftig abgedeckt worden. Inwieweit dieser Missstand die Katastroph­e begünstigt­e oder ob dadurch sogar Menschen gestorben sind, ist laut Expertise aber noch nicht ausreichen­d untersucht worden. Fest steht aber: Rund um den Gully lagen hinterher Leichen.

Bis heute ist auch nicht geklärt, wie viele Besucher genau auf der Loveparade in Duisburg waren. Möglicherw­eise waren es deutlich weniger, als von den Veranstalt­ern erwartet worden waren. Der Analyse zufolge sollen bis spätestens 17.10 Uhr „mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit“maximal nur 118.000 Gäste auf der Eventfläch­e gewesen sein. Im Vorfeld hatte eine zentrale Prognose mit rund 290.000 Besuchern zu diesem Zeitpunkt kalkuliert.

Abstellflä­che für Polizeifah­rzeuge stand in keinem genehmigte­n Plan

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