Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wenn Senioren unfreiwill­ig alleine sind

Einsamkeit ist nicht nur ein Problem für ältere Menschen. Aber bei ihnen ist das Risiko höher. Angehörige, Freunde und Betroffene selbst können aber versuchen, etwas dagegen zu tun.

- VON MARIA WOKURKA

Alleinsein empfinden viele Menschen als angenehm und genießen die Ruhe und Zeit für sich. Einsamkeit hingegen kann sehr belastend sein. Nicht nur ältere Menschen fühlen sich einsam. Bestimmte Umstände begünstige­n allerdings, dass das Thema Senioren besonders betrifft.

Edith Kallmeyer vermisst ihren vor 19 Jahren verstorben­en Mann sehr. „Wenn ich ausgehe, sehe ich oft so viele Paare. Fangen Leute an zu tanzen, werde ich nachdenkli­ch und ziehe mich lieber zurück“, sagt die 83-Jährige. „In den letzten Jahren sind einige meiner Freunde gestorben. Verwandte habe ich nicht wirklich, in meiner Familie gab es fast nur Einzelkind­er.“

Der Vorstandsv­orsitzende des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP), Ralf Suhr, erklärt: „Insbesonde­re sehr alte Menschen über 80 mit starken gesundheit­lichen Einschränk­ungen können von Einsam- Ursula Lenz keit stark betroffen sein.“Denn häufig treffen mehrere Risikofakt­oren zu – wie das Versterben von Angehörige­n, Partnern und Freunden. „Gleichzeit­ig nehmen körperlich­e und geistige Einbußen statistisc­h gesehen zu. Teilnahme am gesellscha­ftlichen Leben wird schwierige­r.“

Für ihre fast 84 Jahre ist Edith Kallmeyer fitter als manch ein Teenager. Jeden Tag eine Stunde Walking, „straffes Laufen“nennt sie das. Die letzte Wanderung von 14 Kilometern liegt nur wenige Wochen zurück. „Ich werde oft auf 70 geschätzt“, sagt sie. Bis vor einigen Jahren hat Kallmeyer noch viel ehrenamtli­ch gearbeitet. Auch ohne das ist die Mutter von drei Kindern viel beschäftig­t: Wandern, Literaturk­reise, Reisen, Themenaben­de der Bürgerstif­tung und Volkshochs­chule, Besuche der Enkel und Urenkel, ein paar Ausgeh-Abende.

Aktivitäte­n lenken ab. Es gibt viele Möglichkei­ten, sich auch im Alter zu beschäftig­en, findet Kallmeyer. „Nur, man muss sich auf den Weg machen.“Den Schweinehu­nd überwinden. Ursula Lenz von der Bundesarbe­itsgemeins­chaft der Seniorenor­ganisation­en (Bagso) erläutert, warum genau das oft schwerfäll­t: „Verluste jahrzehnte­langer Beziehunge­n sind nur schwer zu verkraften, und die Möglichkei­t, neue Menschen kennenzule­rnen, sind eingeschrä­nkt. Oft gera- ten Menschen auch in Einsamkeit, weil sie erwarten, dass andere auf sie zugehen.“Ein Minimum an Eigeniniti­ative sei erforderli­ch, und Erwartunge­n müssen angepasst werden. „Nur selten treffen wir Menschen, die all unsere Wünsche auf einmal erfüllen.“

Laut einer Studie des ZQP leben bundesweit über die Hälfte der Menschen mit Pflegebeda­rf und ambulanter Versorgung allein. „Alleinlebe­nde Pflegebedü­rftige sind besonders gefährdet, sich einsam zu fühlen“, sagt Suhr. „Sie sind stark von Abhängigke­it, sozialer Isolation oder geringem Einkommen betroffen.“Lenz bekräftigt: „Ein VHS-Kurs oder ein Theaterbes­uch sind teuer. Es gibt auch günstige oder kostenfrei­e Angebote, aber von Altersarmu­t Betroffene schämen sich oft und ziehen sich zurück.“

Keine gute Idee ist, sich an die Kinder zu klammern. „Wenn ich meine Kinder besuche, melde ich mich an. Sie haben schließlic­h auch ihr eigenes Leben“, sagt Kallmeyer. Lenz erklärt: „Kinder können nur begrenzt die Einsamkeit lindern. Sie können und sollen sich kümmern, aber die Eltern müssen auch selbst aktiv werden.“

Hilfreich sei es, mit anderen Menschen gemeinsame­n Hobbys wie Reisen, Sprachen lernen oder Skatspiele­n nachzugehe­n. „Es gibt viele Seniorenbe­gegnungsst­ätten, Kirchengem­einden und Bildungsei­nrichtunge­n, die ein breites Angebot für Ältere haben. Auch Mehrgenera­tionshäuse­r sind eine Option. Hier unterneh- men die Bewohner gemeinsam mit jungen Menschen etwas.“

Anschluss gibt es an vielen Stellen, sagt Suhr: „Hier gibt es auch oft Fahrdienst­e. Auch Haustiere können Einsamkeit vorbeugen. Sie geben das Gefühl, gebraucht zu werden, können Nähe und Trost spenden, fördern die Beweglichk­eit und Gespräche mit anderen Tierbesitz­ern.“Manche Angebote sind schwer zu finden. „Hier können nicht nur Angehörige helfen, sondern auch Nachbarn“, erläutert Suhr.

Hin und wieder mal einen Tag alleine zu verbringen: „Das ist für viele Menschen wohltuend. Sie empfinden es als nicht belastend, sie genießen es“, erklärt Lenz. „Einsamkeit hingegen ist auf Dauer krankmache­nd – ein unfreiwill­iges Alleinsein.“

„Verluste jahrzehnte­langer Beziehunge­n sind nur schwer zu verkraften“ Bundesarbe­itsgemeins­chaft der Seniorenor­ganisation­en

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FOTO: BODO MARKS Das Telefon schweigt: Fühlen sich ältere Menschen einsam, können sie zum Beispiel versuchen, über ihre Hobbys Kontakte zu knüpfen.
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