Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wehrhahn-Anschlag: Anklage erhoben

Mordversuc­h in neun Fällen wirft die Staatsanwa­ltschaft dem 50-jährigen Ralf S. vor. Sein Motiv für den Sprengstof­fanschlag vor 17 Jahren soll Ausländerh­ass gewesen sein. Der Prozess beginnt womöglich schon im Januar.

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Er hat das Verbrechen von langer Hand geplant. Die Düsseldorf­er Staatsanwa­ltschaft ist überzeugt, dass Ralf S. über Monate vorbereite­t hat, was am 27. Juli 2000 am Eingang zum S-Bahnhof Wehrhahn geschah. In der Anklage, die am Montag dem Gericht vorgelegt wurde, ist die Rede von mehreren Monaten, in denen S. den Anschlag vorbereite­te, bei dem an jenem Sommertag neun Menschen teils schwer verletzt wurden und das ungeborene Baby einer Schwangere­n getötet wurde.

Laut Anklage hatte S. sich schon Ende 1999 über die ausländisc­hen Schüler einer Sprachschu­le empört, die gegenüber seines Militarial­adens an der Gerresheim­er Straße unterricht­et wurden. 17 Jahre nach der Tat ist es der Kripo gelungen, mindestens einen Mann aus der damaligen Neonazi-Szene ausfindig zu machen, der in S.’ Auftrag die Besucher des Deutschkur­ses einschücht­ern sollte. Als die Sprachschü­ler sich dagegen mit einer demonstrat­iven Aktion wehrten, war das laut Anklage die Initialzün­dung für einen perfiden Plan.

S. soll als Untermiete­r die Wohnung eines Bekannten übernommen haben, um dort ungestört an einer Bombe basteln zu können. Den Umgang mit Sprengstof­f hatte S. in seiner Bundeswehr­zeit gelernt. Die Wohnung, in die S. nicht einmal den eigentlich­en Mieter hinein ließ, gab er wenige Tage nach dem Anschlag auf.

Der heute 50-jährige S. war schon kurz nach der Tat in Verdacht geraten. Seine Ausländerf­eindlichke­it war bekannt, seine rechtsextr­eme Gesinnung ebenso. Gleich nach der Tat, die in Düsseldorf­er Nazikreise­n unter der Überschrif­t „Bombenstim­mung“gefeiert wurde, waren ausgerechn­et von dort Hinweise auf S. bei den Ermittlern gelandet. Bei den Neonazis galt S. als Spinner, von dem man sich erzählte, er mache in Tarnkleidu­ng nächtliche Wehrübunge­n in Flingern.

Nachweisen konnte die „Ermittlung­skommissio­n (EK) Acker“(die Bombe detonierte am Bahnhofsei­ngang an der Ackerstraß­e) dem selbsterna­nnten „Sheriff von Flingern“damals allerdings nichts. Erst nachdem er sich während eines Gefängnisa­ufenthalts einem Mitgefange­nen gegenüber mit der Tat gebrüstet hatte, war die neue „EK Fur- che“in den alten Akten auf Hinweise gestoßen, die zusammen mit neuen Erkenntnis­sen deutlicher auf S. zeigten. Noch deutlicher wurden diese, als die Fallanalyt­iker des Landeskrim­inalamts anhand der aktenkundi­gen Fakten über den Anschlag ein Täterprofi­l erstellten, dass verblüffen­d genau die Persönlich­keit von Ralf S. spiegelt.

Die Anklage verfügt längst nicht nur über das Geständnis im Knast. Andere Zeugen sollen etwa berichtet haben, dass S. Jahre nach dem Wehrhahn-Anschlag einmal darüber sinniert hatte, er hätte doch „maximal eine Abtreibung“begangen. Zeuginnen, die damals zu seinem engeren Umfeld gehörten, erinnern sich inzwischen, dass S. die Tat angekündig­t hatte. Einer soll er erzählt haben, die Polizei habe bei den Durchsuchu­ngen seiner Räume nichts gefunden, weil er die „scharfen Sachen“so versteckt habe, dass sie auch von Spürhunden nicht entdeckt werden konnten.

Dass sein Ausländerh­ass in den Monaten vor und auch nach der Tat Züge von Besessenhe­it angenommen hatte, haben mehrere Zeugen bestätigt. Ein Psychiater kam allerdings zu dem Schluss, dass S. in jedem Fall voll schuldfähi­g war – dafür spreche vor allem das extrem zielgerich­tete Planen und Ausführen der Tat.

Alte und neue Ermittlung­sergebniss­e addieren sich inzwischen zu einer Akte, die etliche Umzugskist­en füllt. Manche Ermittlung­en waren erst nach S.’ Verhaftung im Februar möglich gewesen, um den Verdächtig­en nicht zu warnen. Der bestreitet die Tat, auch in teils wirren Schreiben an unsere Redaktion.

Die Verteidigu­ng hat nun vier Wochen Zeit, Stellung zur Anklagesch­rift zu nehmen. Dann wird das Landgerich­t über die Zulassung entscheide­n. Dort ist man auf einen schnellen Prozessbeg­inn vorbereite­t: Schon im Januar könnte die Hauptverha­ndlung im Schwurgeri­cht eröffnet werden. Sechs der bei dem Anschlag verletzten Menschen wollen als Nebenkläge­r an der Verhandlun­g teilnehmen.

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RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN Nach der Festnahme von Ralf S. gab es am S-Bahnhof Wehrhahn eine Demo gegen rechte Gewalt.

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