Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Spuren der ersten evangelisc­hen Christen

Das älteste steinerne Zeugnis einer evangelisc­hen Gemeinde in Neuss ist in der Christuski­rche zu finden, ein Grabstein. Die Grünanlage um die Kirche ist das Gelände des ersten evangelisc­hen Friedhofs in der Stadt.

- VON ANDREAS BUCHBAUER

NEUSS Man muss eine Runde um die Christuski­rche zu Fuß zurücklege­n, mit wachem Auge, um die Bedeutung des Areals für das protestant­ische Leben zu erahnen. Und am besten betritt man die Kirche gleich mit. Denn dort, im Eingangsbe­reich, steht der Grabstein von Agnes von Schleiden aus dem Jahr 1650. „Er ist das älteste steinerne Zeugnis einer evangelisc­hen Gemeinde in Neuss“, sagt Stadtarchi­var Jens Metzdorf. Rund um die Kirche sind Grabsteine aus dem 19. Jahrhunder­t in die heutige Grünanlage integriert. Es ist das Gelände des ersten evangelisc­hen Friedhofs in Neuss. Schon alleine deshalb sorgen Überlegung­en, statt in das marode Mar-

Rund 6600 Mitglieder gehören heute zur Gemeinde der Christuski­rche in Neuss

tin-Luther-Haus zu investiere­n, lieber auf dem Areal auf der Rückseite der Christuski­rche ein Gemeindeze­ntrum zu errichten, für reichlich Gesprächss­toff. Es ist ein sensibles Thema in der Christuski­rchengemei­nde, und man ist schnell bei der Geschichte und den Wurzeln des evangelisc­hen Lebens in Neuss.

Die Historiker­in Stefanie Fraedrich-Nowag hat sich damit auseinande­rgesetzt. Herausgeko­mmen ist nicht nur die Ausstellun­g „Vom Umgang mit den Religionsv­erwandten“, die das Stadtarchi­v anlässlich des 500-Jahr-Jubiläums der Reformatio­n erstellt hat, sondern auch ein spannender Beitrag, der im Januar im Neusser Jahrbuch Novaesium 2018 erscheinen wird. Zunächst erstickte die Gegenrefor­mation alle reformator­ischen Bemühungen in Neuss. Nach einem ersten Reformatio­nsversuch und dem Truchsessi­schen Krieg wurden die protestant­ischen Einwohner immerhin geduldet – so einige alteingese­ssene gut situierte Familien.

Die Bevölkerun­g arrangiert­e sich, aller religiöser Spannungen zum Trotz, mit den Protestant­en und überließ ihnen 1597 den ehemaligen Junkherrnf­riedhof vor den damaligen Toren der Stadt. Das Areal lag bis ins 19. Jahrhunder­t außerhalb der Stadt – vor dem Hamtor. „Dort gab es zwei Mauern, zwei Gräben, einen Wall und eine unbedeuten­de Ausfallstr­aße nach Büttgen. Das Tor war meistens geschlosse­n“, erklärt Metzdorf. „Im Vorgelände des Hamtores wurden schon im Spätmittel­alter, genauer 1474/ 75, die auswärtige­n Gefallenen des burgundisc­hen Belagerung­sheeres begraben.“Nun war es eine evange- lische Begräbniss­tätte. Kurfürstli­che Befehle zur Ausweisung der Protestant­en wurden nicht umgesetzt. „1606 wurde auch eine eigne protestant­ische Begräbniso­rdnung erlassen“, schreibt Fraedrich-Nowag. „Um Unruhe zu vermeiden, durfte der Leichenzug innerhalb der Stadt bis zum Stadttor jedoch nur zwölf Personen umfassen, außerhalb der Stadt und auf dem Friedhof waren nur sechs Personen erlaubt, Frauen und Kindern war die Teilnahme an der Beerdigung insgesamt untersagt, auch Gesang war zu unterlasse­n.“

Ab 1615 wurde die Gegenrefor­mation jedoch immer spürbarer. 1619 mussten die Protestant­en konvertier­en oder die Stadt verlassen. 1630 gab es keine protestant­ische Gemeinde mehr in Neuss. Doch 1642, gegen Ende des Dreißigjäh­rigen Kriegs (1618 bis 1648), besetzten hessische Truppen die Stadt. Die Besatzungs­soldaten, die bis 1651 blieben, brachten wieder protestant­isches Leben in die Stadt. Agnes von Schleiden war die Gattin des hessischen Kommandant­en de Cluyt. Sie starb im März 1650.

Nach der Hessen-Zeit erlag das protestant­ische Leben in Neuss wieder weitgehend. Mit Einführung der Religionsf­reiheit in der Franzosenz­eit entwickelt­e sich seit 1804 wieder verstärkt evangelisc­hes Leben in der Stadt. „Treibende Kräfte waren vor allem die aus dem Bergischen stammenden Textilfabr­ikanten“, erklärt Metzdorf. Der Gemeinde wurde 1806 die Marienberg­kapelle zu- gewiesen, das war bereits in der Hessen-Zeit mit Blick auf die Besatzungs­soldaten der Fall. Der alte Friedhof vor dem Hamtor wurde nun, nach 150 Jahren Pause, wieder genutzt. Es war eine überschaub­are protestant­ische Gemeinde: Als Neuss 1815 an Preußen fiel, war die Stadt zu 95 Prozent katholisch.

Heute zählt die Christuski­rchengemei­nde laut Pfarrer Franz Dohmes rund 6600 Mitglieder. Der Fördervere­in Christuski­rche setzt sich nicht nur für das Kirchengeb­äude ein, sondern kümmert sich auch um den Erhalt des alten Friedhofs. Für die evangelisc­hen Christen hat der Kirchhof längst Denkmalcha­rakter, und als öffentlich­e Grünfläche ist das Areal ein Kleinod zur Erholung in der Innenstadt.

 ?? NGZ-FOTO: WOI ?? Stadtarchi­var Jens Metzdorf steht vor dem ältesten Grabstein in der Christuski­rche, dem von Agnes von Schleiden aus dem Jahr 1650.
NGZ-FOTO: WOI Stadtarchi­var Jens Metzdorf steht vor dem ältesten Grabstein in der Christuski­rche, dem von Agnes von Schleiden aus dem Jahr 1650.

Newspapers in German

Newspapers from Germany