Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Wieder nur der billigste Kompromiss“
Der Juso-Chef glaubt nicht an eine Groko. Seinen Posten sieht er als Hobby – wie Tiefseetauchen.
Wie laufen die Koalitionsgespräche?
KÜHNERT Es fällt auf, dass sich Union und SPD auf Ziele einigen können, aber kaum auf kurzfristige Maßnahmen. Beispiel Pflege. 8000 neue Stellen bedeuten nicht einmal eine zusätzliche Stelle pro Pflegeeinrichtung. Wie die Finanzierung für mehr Personal und bessere Qualität aussehen soll, dazu schweigt man sich weitgehend aus. Das ist der rote Faden in den Verhandlungen: Sie bleiben im Ungefähren.
Die SPD-Umfragewerte sinken, ist eine Neuwahl eine gute Idee?
KÜHNERT Wir sind nicht für eine Neuwahl. Ich finde es fahrlässig, so zu tun, als sei eine Neuwahl die einzige Alternative zur großen Koalition. Ich lehne diesen Automatismus ab. Die Union kann auch eine Minderheitsregierung bilden.
Wäre das gut für Deutschland?
KÜHNERT Natürlich muss das Ziel sein, dass es dann irgendwann mal wieder eine Mehrheitsregierung gibt. Aber jetzt wäre es doch nicht besser, wenn Deutschland mit der Groko wieder nur eine Regierung des kleinsten gemeinsamen Nenners und des billigsten Kompromisses bekommt. Wirklich voran wird es mit einer Neuauflage der großen Koalition nicht gehen, weil doch auch jetzt wieder die Zukunftsfragen verschoben werden. Das ist doch kein ambitioniertes Regieren.
Martin Schulz wollte nicht Minister unter Merkel werden. Wenn doch?
KÜHNERT Davor versuchen wir ja, ihn zu bewahren, indem die SPD nicht in eine große Koalition geht. Im Moment bin ich optimistisch, dass die Mehrheit der SPD-Mitglieder bei der Abstimmung Nein sagt, weil selbst das Führungspersonal das Rennen für offen hält.
Erneuerung in der Opposition hat bisher nicht geklappt. Warum jetzt?
KÜHNERT Die SPD war in der Opposition fast genauso staatstragend, wie in der Regierung davor und da- nach. Die SPD muss raus aus der Rolle des Korrekturbetriebs der Union. Es gibt viele, die sind mit Merkel als Kanzlerin aufgewachsen. Die kennen die SPD nur als kleinen Koalitionspartner der Union.
Welche Kampagne starten Sie noch?
KÜHNERT Wir befinden uns nicht nur in einer Groko-Verhinderungsmission, sondern wollen die Zukunftsfragen beantworten, die Erneuerung der SPD beschreiben und Perspektiven aufzeigen. Ich will eine SPD, die deutlich sagt, dass wir die Vermögensverteilung ändern wollen durch Vermögensbesteuerung, eine ordentliche Erbschaftssteuer und Unterbindung von Steuervermeidung. Eine SPD, die sich zur Zukunft der sozialen Sicherungssysteme bekennt und auch für meine Generation die Rente verlässlich macht. Ja, das wird Geld kosten, das ist aber eine sozialdemokratische Positionierung.
Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
KÜHNERT Vor allem noch in der SPD. Ich strebe aber kein bestimmtes politisches Amt an.
Träume? Tiefseetauchen oder so?
KÜHNERT Die SPD kämpft gerade um ihre Zukunft. Ich will, dass in 15 Jahren überhaupt noch Leute etwas werden können in der SPD, weil es sie dann noch gibt. Mich lässt nicht kalt, was um mich herum in der Welt passiert und mich abstößt: Ungerechtigkeit, Armut, Krieg. Ich will etwas verändern. Deswegen bin ich zu den Jusos gegangen und verbringe dort meine Freizeit. Das ist mein Hobby. So wie für andere Tiefseetauchen. Nur schöner. DAS GESPRÄCH FÜHRTE K. DUNZ.