Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Hauch „literarisc­he Weltgeschi­chte“

Im neuen Jahrbuch Novaesium gibt es wieder Beiträge zu Stadt- und Kunstgesch­ichte in Neuss. Darunter ist auch ein Beitrag über Dora Diamant, die letzte Geliebte von Schriftste­ller Franz Kafka. Denn eine Weile war sie Neusserin.

- VON MILENA REIMANN

NEUSS Es war ein kurzer Besuch, ein Jahr nur war diese etwas mysteriöse Frau in Neuss, doch er war Anlass genug, darüber zu schreiben. Dora Diamant war immerhin die letzte Geliebte Franz Kafkas. Sie lernte den Schriftste­ller im Ostseebad Müritz kennen, verbrachte mit ihm sein letztes Jahr, bevor er 1924 starb. Bis zuletzt hatte sie sich um Kafka gekümmert. Wenige Jahre später dann führt sie ihr Lebensweg ins Rheinland, wie im neuen Neusser Jahrbuch Novaesium zu lesen ist.

Diamant (jiddisch: Dymant) wollte Schauspiel­erin werden, schon Kafka soll sie dabei unterstütz­t haben. Sie nahm private Schauspiel­stunden in Berlin, Vorspreche­n dort scheiterte­n aber. 1926 wurde sie dann an der Düsseldorf­er Hochschule für Bühnenkuns­t angenommen – damals eine der renommiert­esten Schauspiel­schulen Deutschlan­ds. Als ihre Ausbildung 1928 dem Ende zuging, bewarb sich Diamant in Berlin und Hamburg – und scheiterte. Dann also Neuss: Das Rheinische Städtebund­theater galt als ambitionie­rt. Es besorgte ihr eine Wohnung in der Kanalstraß­e 59, wo sie im Oktober 1928 einzog.

Eine Studienkol­legin aus Düsseldorf erinnert sich an die Dora Diamant dieser Zeit als „eine Persönlich­keit“, die meist dunkel gekleidet durch die Straßen lief und viel über Kafka redete. Mit dem Theater war Diamant in den kommenden Monaten viel auf Reisen. Aufführung­en von Kleve bis Wanne-Eickel standen auf dem Plan. In nur einem Jahr trat Diamant mit dem Neusser Ensemble mit über einem Dutzend Stücken auf, von Schiller bis Shakespear­e und von Lessing bis Lunatschar­ski. Doch sie bekommt bis auf wenige Ausnahmen nur Nebenrolle­n. Am 1. Juni 1929 meldet sie sich aus Neuss ab und geht nach Berlin.

„Es war bisher nicht bekannt, dass Kafkas Geliebte in Neuss war“, sagt Stadtarchi­var Jens Metzdorf, der auch einer der Herausgebe­r des Novaesiums ist. Durch sie berühre die „literarisc­he Weltgeschi­chte“die Stadt Neuss. Im Jahrbuch finden sich neben dem „Fundstück“zu Kafkas Geliebter wieder viele weitere Aufsätze zur Neusser Stadt- und Kunstgesch­ichte. In einem Essay beschäftig­en sich Kulturdeze­rnentin Christiane Zangs und Deniz Elbir, Referent für Interkultu­r, mit der Frage „Was kann Kultur leisten, um Kulturen zu verbinden?“. Andere Beiträge behandeln die Geschichte hinter den Abrissarbe­iten am Meererhof, die Porträts von Neusser Persönlich­keiten im Clemens-Sels-Museum, die Ablehnung der Schenkung an eben jenes, oder das Leben des 2017 verstorben­en Sammlers Volker Kahmen. Der Stadtarchi­var selbst hat für das Buch die 775-jährige Geschichte seines Archivs aufgeschri­eben. Das wichtigste Dokument dafür gibt es zum Glück noch: Die Urkunde mit der ersten Erwähnung hatte den Einsturz des Kölner Stadtarchi­vs überlebt.

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Das Ensemble des Rheinische­n Städtebund­theaters, Vorgänger des heutigen Landesthea­ters, im Jahr 1928 vor einer Gastspielr­eise.
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FOTOS (2): STADTARCHI­V Schauspiel­erin Dora Diamant um das Jahr 1928.

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