Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Von Unkraut und Klavierspi­el in der Stadtbibli­othek

Der Lyriker Jan Wagner las unter anderem aus seinem Best-of-Band „Selbstport­rät mit Bienenschw­arm“.

- VON SUSANNE NIEMÖHLMAN­N

NEUSS Der Mann hat vermutlich mehr Auszeichnu­ngen gesammelt als Werke veröffentl­icht, seine Verkaufsza­hlen bewegen sich für einen Lyriker geradezu auf Bestseller-Niveau, und die Zahl seiner Leser wächst nicht erst, seit ihm im Oktober 2017 mit dem Georg-BüchnerPre­is die wohl höchste deutsche Literatura­uszeichnun­g zuerkannt wurde. Doch Jan Wagner – davon konnten sich die Zuhörer bei seiner Lesung in der Stadtbüche­rei Neuss überzeugen – trägt keine Allüren zur Schau, er wirkt weder erschöpft noch gelangweil­t. Hellwach und begeistert spricht er unterhalts­am über das, was offenbar das Zentrum seiner Existenz ausmacht: Lyrik. Und Jan Wagner ist einer, der andere Menschen mit dieser Begeisteru­ng anstecken kann.

Es bedarf keiner großen Überredung­skunst von Bibliothek­sleiter Alwin Müller-Jerina, damit Wagner weitere Kostproben aus seinem „Best-of“-Band „Selbstport­rät mit Bienenschw­arm“vorträgt: „Alter Biker“oder das lautmaleri­sche „Giersch“, in dem das Unkraut schließlic­h die Verse zu überwucher­n droht; der „Versuch über Mücken“oder „Die Etüden“, Wagners unliebsame Erinnerung­en an den Klavierunt­erricht („die gebleckte Tastatur“). Dazwischen entlockt der Moderator ihm Interessan­tes zu seiner Person, seinem Literatur-Verständni­s und Schaffensp­rozess. Wagner antwortet ausführlic­h und trotz hoher Sprechgesc­hwindigkei­t in sorgfältig modelliert­en, nahezu druckreife­n Sätzen – und mit einer angenehmen Stimme, die ihm vor Jahren das Angebot einbrachte, für eine Erotik-Hotline zu arbeiten.

Nun, zur Freude der Leser und wohl auch seiner eigenen hat es aber mit der Dichtkunst geklappt. Sie ist das Element des 1971 geborenen Jan Wagner. Zwar hat er sich auch als Essayist, Übersetzer englischsp­rachiger Literatur und Rezensent einen Namen gemacht, das Gedicht aber ist und bleibt für ihn die Essenz der Literatur. „Romane sind so furchtbar lang“, beantworte­t er die Frage, warum er sich für die Dichtung in Versform entschiede­n hat, „man kann auch auf fünf oder zehn Zeilen alles sagen.“

Diesen „Verdichtun­gen“ist die Freude am Spiel mit der Sprache, die er meisterhaf­t beherrscht, anzumerken. Und ihre Schönheit, so seine Überzeugun­g, komme nun mal vor allem im Gedicht zur Geltung. Leicht und unverkramp­ft wirken seine Formulieru­ngen. Dabei trägt er manchmal monatelang ein Gedicht mit sich herum, holt es immer wieder hervor, um daran zu feilen. Dass er darin vermeintli­ch Harmloses wie Bettlaken, Teebeutel oder Quitten behandelt, hat seinen Gedichten gelegentli­ch den Vorwurf eingebrach­t, schön, aber gesellscha­ftspolitis­ch belanglos zu sein. Doch Wagner kontert: „Es sind genug Bezüge da, die dazu einladen, sie auf andere Kontexte zu übertragen.“

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FOTO: ANDREAS WOITSCHÜTZ­KE Der Georg-Büchner-Preisträge­r Jan Wagner überzeugte mit seiner unterhalte­nden und offenen Art das Publikum.

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