Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Warum wir für den Frühling putzen
Heute ist meteorologischer Frühlingsanfang – höchste Zeit, den Dreck vor die Tür zu kehren. Warum wir das machen, weiß Günter Clausen, Leiter der Psychosomatik am St.-Alexius-Krankenhaus.
Freiräume für neue Dinge und Impulse geschaffen.
Inwiefern putzen wir auch unsere Seele?
CLAUSEN Ich glaube daran, dass wir vier Häute besitzen. Die erste Haut bekleidet den Körper, die zweite Haut ist die Kleidung selbst, die dritte ist die Wohnung und die vierte ist das Auto. An diesen Häuten spiegelt sich unser seelischer Zustand. Psychisch belastete Menschen können zum Beispiel eine schlechte Haut, unsaubere Kleidung oder eine chaotische Wohnung haben. Wenn die Sonne mehr scheint und es wärmer wird, kaufen wir neue Kleidung, ge- hen zum Friseur, und Frauen beginnen, sich anders zu schminken. Der Schmutz aus der Wohnung muss raus. Im Winter wurde zwar auch gesaugt, aber nicht so intensiv wie jetzt. Selbst die vierte Haut ändert sich: Das Auto wird offen, das Verdeck wird heruntergefahren.
Warum passiert das gerade jetzt?
CLAUSEN Sonnenstrahlen, die durch das Auge auf die Netzhaut treffen, bewirken, dass das Gehirn anders arbeitet. Es ändert den Hormonhaushalt und sorgt für eine andere Stimmung. Wir bräunen nicht nur unsere Haut, sondern auch unsere Seele. Außerdem sieht man durch die Sonnenstrahlen jetzt jedes Staubkorn. Der Dreck muss raus. Reinigen ist eine kathartische Handlung. Möglich ist auch, dass vermehrt Menschen einen Kinderwunsch entwickeln. Es geht auch um menschliche Fruchtbarkeit, die im Frühjahr wieder wacher wird. Durch den Generalputz auf ver- schiedenen Ebenen machen wir uns für die Paarung attraktiver.
Wie wichtig ist es für die Psyche, einen Frühjahresputz zu machen?
CLAUSEN Sehr wichtig. Auf der Handlungsebene beim Großreinemachen entwickeln wir Aktivitäten, die Glückshormone ausschütten. Trotz der vielen und anstrengenden Arbeit erleben wir so etwas wie eine glücksgefärbte Zufriedenheit. Männern kann man beim Frühjahrsputz ihrer Autos dabei in der Öffentlichkeit genüsslich zuschauen. JULIA SCHÜSSLER FÜHRTE DAS GESPRÄCH