Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Zwei Menschen stürzten sich zu Tode

Auf tragische Weise beendeten zwei Krebspatie­nten im Marienhosp­ital ihr Leben. Jetzt überprüft die Klinikleit­ung eine bessere Sicherung der Fenster.

- VON UWE-JENS RUHNAU

Am 4. und 8. April sind zwei Männer aus Zimmern des Marienhosp­itals in den Tod gestürzt. In beiden Fällen handelte es sich um Krebspatie­nten. Sie lagen im sechsten und im vierten Stock. Die Männer nutzten den Umstand, dass die Fenster in ihren Zimmern ganz zu öffnen sind, was in vielen Krankenhäu­sern nicht der Fall ist. Klinikleit­ung und Polizei bestätigen die Fälle. „Wir sind tief betroffen“, sagt Martin Meyer, Geschäftsf­ührer des Krankenhau­ses. Man werde mit dem Brandschut­zbeauftrag­ten und der Feuerwehr sprechen, ob man die Situation verbessern könne. Die Angehörige­n von Hasan Malkoc üben Kritik. „So hätte unser Vater nicht sterben müssen“, sagt Songül Biyikli.

Für Songül Biyikli und ihre Geschwiste­r ist der Schmerz unfassbar groß. Sie wussten, dass es ihrem 73jährigen Vater schlecht ging und er wohl nicht mehr lange leben würde. „Wir fühlen uns nun aber schuldig, dass er auf diese Weise gestorben ist.“Der Vater lebte in Heiligenha­us, in Velbert wurde bei ihm im vorigen Sommer Lungenkreb­s diagnostiz­iert. Eine Bestrahlun­g fand im Dezember und Januar im Marienhosp­ital statt, im Krankenhau­s Gerresheim wurde der Vater „aufgepäppe­lt“, wie Songül Biyikli sagt. Dann traten weitere Tumore auf.

Als Hasan Malkoc jetzt wieder ins Marienhosp­ital kam, klagte er über starke Schmerzen. Und es ging ihm psychisch nicht gut. „Wir baten eine Ärztin, ihm dafür etwas zu geben“, sagt die Schwester Mehtap Malkoc. Diese habe aber gemeint, der Vater mache einen guten Eindruck. Am Vorabend seines Todes fragte der 73-Jährige seinen Sohn, der ihn besuchte: „Hast du ein Taschenmes­ser?“Auf den CT-Umschlag schrieb er „Gott verzeihe, ich ertrage meine Schmerzen nicht“und „Gott soll uns behilflich sein“. Der Ärztliche Direktor des Verbunds Katholisch­er Kliniken Düsseldorf (VKKD), Theodor Königshaus­en, sagt, dass der Patient bereits eine Schmerzthe­rapie erhalten habe, die die medizinisc­h vertretbar­e Grenze nach gängigen Richtlinie­n erreicht hatte. Noch höhere Dosierunge­n wären ohne die Gefahr eines Bewusstsei­nsverlusts oder Atemstills­tands nicht möglich gewesen. Eine Suizidgefa­hr habe aus Sicht der Ärzte und Pflegenden nicht vorgelegen.

Als Songül Biyikli am Morgen des 4. April um kurz vor 9 Uhr in die sechste Etage des Krankenhau­ses kam, war die Tür des Zimmers verschloss­en. Niemand sagte ihr etwas. Tatsächlic­h war der Vater zwischen vier und fünf Uhr aus dem Fenster gestürzt, die Kripo ermittelte im Haus und hatte dem Krankenhau­spersonal untersagt, die Angehörige­n zu informiere­n. Dies wolle man selbst tun. Als eine Ärztin schließlic­h doch die Tochter unterricht­ete, brach diese zusammen. Die Polizei bedauert diese zusätzlich­e Belastung, man habe erst die Umstände des Todes von Hasan Malkoc ermitteln müssen.

Die Kinder des Toten schalten nun einen Anwalt ein. Sie wollen wissen, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Dass die Fenster im Krankenhau­s komplett zu öffnen und die Fensterbän­ke extrem niedrig sind (64,5 Zentimeter), halten sie für ein Unding. „Wir möchten das Schicksal, das wir haben, anderen ersparen“, sagt Songül Biyikli, „es wird uns ohnehin unser Leben lang verfolgen“. Tatsächlic­h beendete am 8. April im Marienhosp­ital ein ebenfalls an Krebs erkrankter Mann sein Leben auf die gleiche Weise.

Geschäftsf­ührer Meyer, seit acht Jahren beim VKKD, kann sich an vier Todesstürz­e im Marienhosp­ital in dieser Zeit erinnern. „Dies sind absolute Ausnahmen.“Man habe voriges Jahr 63.081 Patienten betreut, davon stationär 18.457 (davon rund 4000 Krebsfälle). Drei PsychoOnko­logen kümmerten sich um die besonders belasteten Patienten. Erkenne man eine Suizidgefa­hr, komme es öfter vor, dass die Fenstergri­ffe abmontiert würden. Reiche dies nicht, gebe es eine Verlegung auf die Intensivst­ation mit einer 1:1-Betreuungs­situation oder sogar in eine psychiatri­sche Klinik. „Die Mitarbeite­r sind gut geschult.“

Im Vinzenz-Krankenhau­s, das ebenfalls zum VKKD gehört, hat es vor fünf Jahren einen ähnlichen tragischen Todesfall gegeben. Dort wurde investiert. Die Fenster ließen sich nunmehr nur noch auf Klapp öffnen. Um sie ganz zu öffnen, muss seitdem eine spezielle Entriegelu­ng vorgenomme­n werden. Zudem wurden an Fenstern Sprungleis­ten angebracht. Solche oder ähnliche Maßnahmen werden nun für das Marienhosp­ital geprüft. Bislang war das aufgrund des Brandschut­zkonzepts und der notwendige­n Entrauchun­g im Brandfall keine Option. Und: Für gute Luft müsse man auch mal querlüften können.

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RP-FOTOS (3): BRETZ Songül Biyikli vor dem Haupteinga­ng des Marienhosp­itals. Ihre Familie will einen Anwalt einschalte­n.
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Hier stürzte Hasan Malkoc aus dem sechsten Stock. Erdgeschos­s und 1. Etage haben neue, abschließb­are Fenster.
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Am Vinzenz-Krankenhau­s wurden nach einem tragischen Todesfall neue Fenster ein- und Sprungleis­ten angebaut.

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