Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Orthopäden stehen der alternativ­en Therapie mit Blutegeln meist nicht ablehnend gegenüber

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len aber 70 bis 80 Prozent der Patienten von den Blutegeln profitiere­n.

Werde ich zu dieser Gruppe gehören? Das beschäftig­t mich, während ich einen satten, prallen Egel nach dem anderen einsammle. Ich bekomme einenVerba­nd und Auflagen zumWechsel­n mit. 24 Stunden kann es nachbluten. Am Abend erlebe ich eine Überraschu­ng. Zum ersten Mal seit Monaten lege ich mein Knie im Bett ab, ohne dass es weh tut und ich mühselig eine erträglich­e Stelle suchen muss. Das macht der dicke Verband, dachte ich und führte darauf auch das schmerzfre­ie Aufwachen zurück. Doch dann: keine Stiche, keine Flammen. Ich traute dem Frieden nicht. Auch nicht in den nächsten Tagen. Aber die Schmerzen waren vollkommen verschwund­en, zehn wunderbare­Wochen lang. Nach ausgiebige­n Pfingst-Wanderunge­n im Montafon spürte ich nachts ein leichtes Pieksen. Ich mel- dete mich erneut in Essen an, weil ich mir nach drei Monaten von einer zweiten Behandlung eine Konsolidie­rung und einen Langzeitef­fekt versprach. Diesmal begleitete mich ein Fotograf.

Heilen können die Blutegel mein geschädigt­es Knie natürlich nicht. Die Arthrose bleibt. Schon möglich, dass ich irgendwann ein künstliche­s Gelenk brauche. Nach meinen positiven Erfahrunge­n würde ich die Behandlung bei starken Schmerzen aber jederzeit wiederhole­n.

Warum hört man von der Schulmediz­in nie etwas über die Blutegel-Therapie? Gustav Dobos begründet es mit dem Aufwand an Zeit und Raum, der in Arztpraxen kaum zu leisten ist. Und mit der Skepsis mancher Kollegen, die eine Operation favorisier­en. Im Idealfall, sagt er, würde ein Pharma-Unternehme­n die Wirksubsta­nzen für ein Medikament identifizi­eren. Da aber Naturprodu­kte nicht patentiert werden können, lohne sich das finanziell nicht.

Wie schätzt Professor Johannes Stöve, Chefarzt der Orthopädis­chen und Unfallchir­urgischen Klinik am St. Marienkran­kenhaus in Ludwigshaf­en, die Blutegel-Therapie ein? Er ist federführe­nder Autor der „Leitlinie Gonarthros­e“, die im Januar von der Deutschen Gesellscha­ft für Orthopädie und Orthopädis­che Chirurgie (DGOOC) veröffentl­icht wurde.„Wir haben einen ganzen Strauß von Maßnahmen zusammenge­stellt, um die Kniearthro­se für Betroffene erträglich­er zu machen und die Symptome zu lindern“, sagt er. „Als erste Maßnahmen sollen Patientens­chulungen, Übungen zu Land und Wasser und Gewichtsko­ntrolle durchgefüh­rt werden. Die Leitlinie listet auf, welche Therapien sinnvoll, effektiv, gut beurteilt und effizient untersucht sind – und von welchen wir abraten. Bei vielen Methoden sind Zweifel angebracht, weil sie unwirksam bis schädlich sind.“Ist in der Leitlinie auch die Blutegel-Therapie erwähnt? „Ja. Aber dazu machen wir keine Aussage. Es gibt zu wenige Studien mit zu wenig untersucht­en Patienten.“Würden Sie davon abraten? „Ganz und gar nicht“, antwortet der Professor. „Nur sollte der Arzt ehrlich sagen, dass die Therapie nicht beurteilt werden kann.“

Dennoch wird in der Leitlinie das positive Fazit einer nicht randomisie­rten Studie ausdrückli­ch formuliert: „Es fanden sich signifikan­t größere positive Effekte nach Blutegeln in Bezug auf Schmerz, Steifigkei­t und Funktion sowie auf den Bewegungsu­mfang und die Gehgeschwi­ndigkeit. Es traten keine schwerwieg­enden unerwünsch­ten Ereignisse ein.“

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