Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Erfolge der AFD müssen uns Sorgen machen“

Vor ihrer Festrede beim Neujahrsem­pfang der CDU haben wir mit der ehemaligen Präsidenti­n des Zentralrat­s der Juden gesprochen.

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KAARST Vor ihrem Besuch beim Neujahrsem­pfang der CDU Kaarst am Sonntag (13. Januar) haben wir mit Charlotte Knobloch, Präsidenti­n der israelitis­chen Kultusgeme­inde München, über die Situation der Juden und den Rechtsruck in Deutschlan­d gesprochen. Ist Deutschlan­d in den letzten Jahren wieder nach rechts gerückt?

Wir haben das Erstarken einer Partei am äußersten rechten Rand erlebt, die in vielen Punkten die Agenda setzt und die öffentlich­e Debatte bestimmt. Ihre Erfolge an der Wahlurne müssen uns allen große Sorgen machen. Davon, dass das ganze Land nach rechts gerückt sei, will ich dennoch nicht sprechen. Dafür ist der Widerstand gegen die Positionen der AFD zu breit, er zeigt sich parteiüber­greifend in den Parlamente­n ebenso wie in der Gesellscha­ft.

Charlotte Knobloch

Warum sind gerade die Juden in den Augen der Rechten ein Problem? Knobloch Hier ist aus dem christlich­en Gedanken von den Juden als „Gottesmörd­er“mit der Zeit eine rassische und kulturelle Ablehnung geworden. Die Kirche hat sich von ihren judenfeind­lichen Anfängen längst verabschie­det, doch die „jüdische Weltversch­wörung“ist unter Rechtsextr­emen bis heute ein beliebtes Bild. Auch die unzähligen Verschwöru­ngstheorie­n, die heute in Sozialen Medien verbreitet werden, landen häufig schon nach wenigen Wendungen beim Antisemiti­smus. So setzt sich der Judenhass immer weiter fort. Gibt es ein Antisemiti­smus-problem in diesem Land? Knobloch Man muss sich zunächst einmal klarmachen, dass der Judenhass in Deutschlan­d 1945 nicht einfach verschwund­en ist: Die Menschen, die ihn getragen haben, waren ja zumeist noch da. Antisemiti­sches Gedankengu­t konnte direkt oder indirekt weitergege­ben werden, und vieles von dem, was wir heute erleben, baut darauf auf. Heute ist Antisemiti­smus – Gott sei Dank – geächtet. Doch das Problem besteht fort, wie wir an vielen Stellen sehen – vom israelbezo­genen Antisemiti­smus vieler junger Muslime bis zu den völkischen Einlassung­en bedeutende­r Afd-politiker. Für die jüdische Gemeinscha­ft hat sich die Lage hier in den vergangene­n Jahren merklich zugespitzt, auch wenn sie glückliche­rweise noch nicht so dramatisch ist wie in vielen anderen Ländern Europas. Was kann die Gesellscha­ft dagegen tun? Was kann die Politik dagegen tun – außer reden? Knobloch Was ich bis heute vermisse, ist der große Aufschrei gegen Antisemiti­smus aus Politik und Gesellscha­ft. Jahrzehnte­lang wurde wiederholt, dass Judenhass in diesem Land keinen Platz hat, und trotzdem ist dieses Thema so aktuell wie eh und je. Das kann nicht sein. Konkret wünsche ich mir drei Dinge. Welche? Knobloch Erstens: ein starkes und geeintes Vorgehen gegen antidemokr­atische Kräfte von rechts. Die wehrhafte Demokratie muss sich hier mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln wehren. Zweitens braucht es einen gesellscha­ftlichen Konsens darüber, dass, wie Ahmad Mansour es ausdrückt,„die Existenz Israels nicht verhandelb­ar ist“. Das mag selbstvers­tändlich klingen, doch entlädt sich auf diesem Weg bis heute unglaublic­h viel Judenhass. Drittens ist die demokratis­che Bildung entscheide­nd. Die Erinnerung an die Verbrechen der Ns-zeit und die Demokratie­erziehung müssen in der anbrechend­en„zeit ohne Zeitzeugen“an den Schulen noch stärker verbunden und betont werden. Die nachfolgen­den Generation­en müssen ihr Land und ihre Demokratie wertschätz­en lernen und wissen, was zwischen den Jahren 1933 und 1945 vorgefalle­n ist, um spätervera­ntwortung übernehmen zu können. Was sind die Herausford­erungen für jüdisches Leben in Deutschlan­d 2019? Knobloch Im Jahr 2019 kämpfen wir weiterhin gegen das Absinken der Hemmschwel­len. Antidemokr­atisches und antisemiti­sches Gedankengu­t gehen oft Hand in Hand, und beides ist leider noch immer auf

Für Sonntag, 13. Januar, ab 11 Uhr lädt der Kaarster Cdu-stadtverba­nd zu seinem Neujahrsem­pfang ein. Wo? Mercure Hotel Kaarst Kinderbetr­euung Neben dem Festvortra­g von Charlotte Knobloch mit dem Titel „Herausford­erungen für jüdisches Leben in Deutschlan­d 2019“bietet die CDU eine Kinderbetr­euung an. dem Vormarsch. Dass die AFD jetzt in allen Landtagen sitzt, ist ein Armutszeug­nis. Wir müssen alle daran arbeiten, dass dies kein Dauerzusta­nd wird. Wo können Juden in Deutschlan­d noch in Frieden leben? Knobloch Ich kann als Präsidenti­n der Münchner Kultusgeme­inde vor allem für Südbayern sprechen, wo die Sicherheit­slage glückliche­rweise gut ist. Grundsätzl­ich ist ganz Deutschlan­d auch weiterhin ein sicheres Land für jüdisches Leben. Die Frage ist eher, wie lange noch. Was raten Sie Juden, die angefeinde­t werden? Knobloch Wer Antisemiti­smus erlebt, sollte das unbedingt melden – an die Polizei, seine Gemeinde oder an eine Meldestell­e für antisemiti­sche Vorfälle. Unser Ziel muss es aber bleiben, dass jüdische Menschen solche Situatione­n nicht mehr erleben müssen. Stephan Seeger stellte die Fragen.

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FOTO: DPA Charlotte Knobloch wird am Sonntag die Festrede beim Neujahrsem­pfang der Christdemo­kraten halten. Seit 1985 ist sie die Präsidenti­n der israelitis­chen Kultusgeme­inde München und Oberbayern.

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