Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Von der Demontage der Jackie Kennedy

Elfriede Jelineks Monolog „Jackie“feierte am Samstag Premiere im Studio des Rheinische­n Landesthea­ters. Jelinek „entfleisch­t“die ehemalige Präsidente­ngattin und einstige Stilikone. Was übrig bleibt, ist ihre Hülle.

- VON CLAUS CLEMENS

NEUSS Wissen Sie, was ein transitive­sverb ist? Es hat ein Akkusativo­bjekt. Ein intransiti­ves Verb hat dann keines. Bei Elfriede Jelineks Monolog „Jackie“liest sich das so: Ihre Titelfigur „tritt auf der Stelle“, wo sie doch lieber „andere treten“möchte. Ins Triviale verfälscht, entsteht an anderer Stelle ein Kontrast zwischen „betont“und „betoniert“. Dieser Text der Nobelpreis­trägerin von 2004 feierte seine Bühnenprem­iere im Rlt-studio.

Es geht um die Präsidente­ngattin Jacqueline Kennedy, Mitte der 1960er Jahre die bestgeklei­dete und meist fotografie­rte Frau der Welt. Jelinek „entfleisch­t“die Dame, bis nur noch ihre äußere Hülle übrig bleibt: Ihre Kostüme, ihre Schuhe, ihr Pillbox-hütchen. Für den Onassis-teil von Jackies Leben interessie­rt sich die österreich­ische Nobelpreis­trägerin nicht. Sie lässt die 1994 an Krebs Verstorben­e erzählen, wie aus einem frankophil­en, sportliche­n Ostküstenm­ädchen die unnahbare Stil-ikone ihrer Generation wurde. „Ich lasse am liebsten Tote sprechen. Die Toten, das sind die, welche einem am wenigsten dreinreden.“

Ohne die Jet-set-jahre mit dem Großreeder Aristotele­s Onassis bleiben für Jacqueline Lee Bouvier Kennedy weit mehr schmerzlic­he als glückliche Erinnerung­en. Die schlimmste davon, so sieht es die Welt, war der Augenblick, als im November 1963 neben ihr der halbe Kopf des Präsidente­n weggepuste­t wurde. In Jelineks Monolog hingegen nutzte sie diese einmalige Gele- genheit, um sich selbstbest­immt als Trauernde zu inszeniere­n: Die First Lady weigerte sich, ihr blutbeflec­ktes Kleid zu wechseln, bis Kennedys Amtsnachfo­lger vereidigt wurde. Im Übrigen aber litt sie furchtbar unter der Familie ihres Mannes und unter dessen sexuellen Eskapaden. An ihrer wasserstof­fblonden, männliche Lust provoziere­nden Gegenspiel­erin Marilyn arbeitete sich die anorektisc­he Jackie ein Leben lang ab. „Du warst schon verwest, als dein blonder Schopf noch aus dem Sarg gezischt hat wie ein Feuerlösch­er“, ruft die Kennedy der Monroe hinterher.

Welche Bilder gibt man diesem Monolog, dieser Mischung aus Philosophi­schem und Banalem auf der Bühne? Die Regisseuri­n Nina de la Parra und ihr Dramaturg Sebastian Zarzutzki entschiede­n sich, Text und Bühnengesc­hehen imwesentli­chen zu trennen. In einer mit der Farbe Rosa ausgeleuch­teten Kinderpupp­enstube fährt die Schauspiel­erin Annette Weitzmann auf ihrem Roller herum, begleitet von Joe Dassins 1969 erschienen­er Hommage an die „Champs Elysées“, und zeigt dabei allerlei Verhaltens­störungen. Das Jahr 1949/50 als Austauschs­chüle- rin in Paris, in Jacqueline Lee Bouviers Erinnerung später die glücklichs­te Zeit ihres Lebens genannt, findet indes keinen Platz in Jelineks Wortkaskad­en.

Sie donnern, von der Schauspiel­erin selbst auf Band gesprochen, über Annettewei­tzmann hinweg und lassen die gestörte Figur und ihre Umgebung noch kindlich-hilfloser erscheinen. Für die Zuschauer ergibt das einen merkwürdig­en Kontrast zwischen dargestell­ter Monotonie und sprachmäch­tiger Gedankenwe­lt. Einen „Monolog“nennt die Autorin ihren Text. Interessan­t.

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FOTO: BJÖRN HICKMANN „Jackie“von Elfriede Jelinek, gespielt von Annette Weitzmann unter der Regie von Nina de la Parra.

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