Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Wirtschaft rüstet für harten Brexit
Die Sorge vor einem Austritt ohne Abkommen wächst. Am Zoll werden chaotische Verhältnisse erwartet, auch Luftfahrt und Chemie sind betroffen. Für NRW ist das Vereinigte Königreich der drittgrößte Markt.
DÜSSELDORF (anh/bee/rky) Mit Bangen blickt die deutsche Wirtschaft nach London, wo heute das Unterhaus über die Frage entscheidet, welchen Brexit es geben wird. Der Industrie- und Handelskammertag (DIHK) warnt seit langem vor den Folgen. Großbritannien ist der fünftgrößte Exportmarkt Deutschlands. Mehr als 750.000 Jobs in Deutschland hängen ab vom Export nach Großbritannien. Der DIHK rechnet bei einem No-deal-brexit für deutsche Firmen mit zehn Millionen zusätzlichen Zollanmeldungen pro Jahr und entsprechenden Kosten. Luftfahrt Bei einem Brexit könnten Verkehrsrechte ungültig, bei einem ungeregelten Brexit passiert das plötzlich und ohne Anschlussregelungen. Der Luftverkehrsverband IATA fordert, dass EU und Großbritannien ihre Sicherheitsstandards gegenseitig anerkennen. Sonst müssten etwa Gepäckstücke von Passagieren, die über Großbritannien in die EU reisen, doppelt durch die Sicherheitskontrolle. Zudem wäre es ohne Neuregelung britischen Gesellschaften nicht mehr möglich, innereuropäische Flüge (etwa von deutschen Airports nach Mallorca) durchzuführen. Chemie Knapp sieben Prozent der deutschen Chemie- und Pharmaexporte gehen nach Großbritannien, insgesamt für zwölf Milliarden Euro. Sollte London Zölle in Höhe der heutigen Eu-außenzölle einführen, würden dies jährliche Zollzahlungen von 200 Millionen Euro allein für diese Branche bedeuten, so der Branchenverband VCI. Henkel und Covestro sind wachsam. „Wir klären schon mal Einfuhrformalitäten und Zollfragen“, sagte unlängst Covestro-chef Markus Steilemann. Covestro macht zwar nur zwei Prozent seines Umsatzes dort und hat auch keine Produktion. „Doch viele
Abstimmung über Mays Brexit-abkommen Parlament stimmt zu Parlament stimmt nicht zu mögliche Szenarien
unserer Kunden wie die Autoindustrie könnten stark vom Brexit betroffen sein. Wenn sie am Brexit leiden, leiden wir mit.“Ähnlich äußerte sich Henkel: „Die direkten wirtschaftlichen Folgen für unser Unternehmen dürften überschaubar sein, in Großbritannien erzielen wir nur rund zwei Prozent unseres Umsatzes und produzieren überwiegend lokal für den lokalen Markt“, so die Düsseldorfer. „Schwer abzuschätzen sind jedoch mögliche wirtschaftliche Folgen im gesamten Eu-raum.“ Techkonzerne Pikant ist der Brexit für Unternehmen mit britischen Müttern wie die Tui oder Vodafone. Bei der Vodafone Group wurde zeitweise sogar diskutiert, die Kon-
Plan B
zernzentrale weg von London in den Euroraum zu verlegen. Aktuell ist davon keine Rede mehr. Allerdings notiert das Unternehmen an der Börse bereits in Euro. Wichtige Teile der Entwicklungsabteilungen sitzen ohnehin in Düsseldorf, wo mitvodafone Deutschland die größte Konzerntochter sitzt. Hier testet Vodafone Smartphones und entwickelt Technologien zur Verbindung von Maschinen und Mobilfunk. Intern wird es für möglich gehalten, dass weitere Bereiche auf den Kontinent wechseln, falls Großbritannien nach dem Brexit sehr rigide Regeln für die Beschäftigung von Ausländern einführen würde. Autobranche Vor allem für die deut- sche Autoindustrie ist Großbritannien ein wichtiger Markt. Die Wirtschaftsprüfer von Deloitte haben errechnet, dass ein harter Brexit die deutschen Autozulieferer bis zu 3,8 Milliarden Euro an Umsatz und bis zu 14.000 Jobs kosten kann. Denn jedes fünfte Autoteil, das in Großbritannien verbaut wird, kommt von deutschen Zulieferern. Viele Zuliefer sitzen in Nrw.wegen drohenden Probleme bei Lieferketten und Logistik hat Rolls-royce zum Beispiel Werksferien auf April vorverlegt. Zugleich drohen Europas Autos auf der Insel wegen Zöllen rund ein Fünftel teurer zu werden. Entsprechende Absatzeinbußen sind programmiert. Europas Autohersteller haben Banken Der Bankplatz Deutschland dürfte zu den wenigen Gewinnern des Brexits gehören. Bislang hatten viele außereuropäische Banken ihren Europa-sitz in London. (Das Finanzgewerbe hat einen Anteil von zwölf Prozent am Sozialprodukt des Vereinigten Königreichs.) Von dort aus können sie bislang ihre Geschäfte in ganz Europa tätigen. Grundlage hierfür ist der so genannte „Finanzpass“. Mit dem Brexit aber sind die Banken verpflichtet, sich in Europa einen Sitz zu suchen.vor allem Frankfurt als großes Finanzzentrum liegt da nahe. Logistik Auch die Briten wissen, dass mit einem ungeregelten Brexit Chaos auf die Wirtschaft zukommt. So würden sich etwa an den großen Einfuhrhäfen wegen Zollformalitäten Waren türmen. In der vergangenen Woche ließ die Regierung proben, wie sich Staus rund um Dover auswirken. Dover gilt als Großbritanniens Tor zu Europa, 10.000 Lkw passieren täglich den Hafen – ohne Grenzkontrollen. Selbst wenn wenn die Zöllner für jeden Lkw nur Minuten brauchen, käme es zu langen Staus.