Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Szenen einer langjährigen Ehe
Mariele Millowitsch und Walter Sittler lesen aus dem Buch „Alte Liebe“im ausverkauften Schumann-saal.
Wenn sich an einem Sonntag innerhalb von fünf Stunden 1600 Menschen auf den Weg machen, um einer Lesung zu lauschen, muss entweder der Autor eine Suggestivkraft entfalten oder der Interpret. Im Robert-schumann-saal kam am Wochenende wohl beides zusammen. Mariele Millowitsch und Walter Sittler lasen aus dem Buch„alte Liebe“, 2009 verfasst von den in Freundschaft getrennten Eheleuten Elke Heidenreich und Bernd Schroeder. Weil diese Ausgabe der Reihe „Zweiklang“mit dem berühmten Tv-traumpaar aus der Serie „Nikola“sofort ausverkauft war, wurde dem üblichen 17-Uhr-termin ein zweiter um 20 Uhr zugefügt. Die Karten gingen zügig weg, so dass Hausherr Eckart Schulze-neuhoff seinen Gästen noch am selben Abend eine Neuauflage für die nächste Saison antrug.
Zwei altmodische Lämpchen beleuchten die beiden Tische auf der Bühne, an denen die Schauspieler Platz nehmen. In dem Buch wechseln Dialoge zwischen Lore und Harry mit deren unausgesprochenen Gedankengängen ab. Ein außergewöhnlicher Erzählstil von hohem Reiz. Heidenreich und Schroeder haben die 33 Kapitel getrennt von- einander geschrieben, Zug um Zug. Es sind die Szenen einer langjährigen Ehe, die eine ganze Palette an Stimmungen wiedergeben, heiter bis urkomisch, besinnlich bis tieftraurig.
Anfangs wird mit viel Wortwitz über die bevorstehende Hochzeit von Tochter Gloria in Leipzig diskutiert. Lore findet, man müsse hinfahren. Harry nicht. „Ist schon ihre dritte Ehe, warum muss sie jedes Mal heiraten? Und wieder den Falschen.“Während sie noch grübelt, was sie als Eltern bei der Erziehung verbockt haben („drei Ausbildungen, keine abgeschlossen“), lehnt er jede weitere Verantwortung ab: „Sie ist nicht mehr unser Kind, sondern eine erwachsene Frau, die nichts auf die Reihe kriegt.“
Jetzt aber ist sie versorgt, ihr Zukünftiger ist steinreich. Die „Fürstenhochzeit von Leipzig“zieht sich als roter Faden durch das Buch. Beiden graut vor den protzigen Verwandten, aber sie nehmen teil. Und ahnen nicht, dass ausgerechnet diese unwillkommene Reise ihnen ein spätes Glück bescheren wird. Übermütig schleichen sie sich fort von der Gesellschaft und entdecken sich neu. Allerdings für eine viel zu kurze Zeit.
„Alte Liebe“ist ein Parforceritt, mit Emotionen, die im Sekundentakt kippen können. Da wird herzhaft gelacht und gleich darauf in der schützenden Dunkelheit des Saales vermutlich auch verstohlen geweint. Zu schmerzlich, zu bewegend, zu ähnlich dem eigenen Leben mögen manche Empfindungen sein. Erst bekennt sich Lore zu ihren unerfüllten Träumen. Sie sehnt sich nach Schönheit, nach Musik. „Ich leuchte nicht mehr“, klagt sie, „ich habe das Freuen verlernt.“Über ihren Mann sagt sie: „Ich hab ihn gern, trotzdem geht er mir auf die Nerven.“Bei beiden Bemerkungen wird es mucksmäuschenstill. Harry wiederum löst Gelächter aus, wenn er fragt: „Wie alt muss man werden, um seine Frau zu verstehen?“Er ist pensioniert, wünscht sich, Lore möge es ihm gleichtun – und fürchtet sich doch vor der endgültigen Zweisamkeit.
Mariele Millowitsch und Walter Sittler sind ein fabelhaft eingespieltes Team, ohne Routine spüren zu lassen. Ihre „Alte Liebe“macht bewusst, wie zerbrechlich das Leben ist. Und wie kostbar die Zeit, die uns bleibt.