Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Was halten Sie von Betten aus Pappe?

Bei einem Rundgang über die weltgrößte Möbelmesse in Köln kann man erforschen, wie wir künftig leben werden.

- VON KLAS LIBUDA

KÖLN Die Wohnung der Zukunft steht voller Grünzeug. Monstera deliciosa heißt die Pflanze der kommenden Stunden, man sieht sie heute schon in einigen Deko-läden und bei Instagram, und auch auf der Möbelmesse in Köln. Überall.

Dort ist die Monstera selbstvers­tändlich nur Zierrat, irgendwie muss man die fensterlos­en Messehalle­n ja etwas aufmöbeln. Trotzdem steht die Pflanze aus der Gattung der Fensterblä­tter zugleich für Größeres, dafür, dass die Zukunft grün ist, auch im übertragen­en Sinne. Nachhaltig soll alles sein, ökologisch, gesund. Wo immer auf der Messe die Naturverbu­ndenheit herausgest­ellt werden soll, steht in einem Kübel eine Monstera wie ein lebendiges Ausrufungs­zeichen, und wem das nicht reicht, der klebt als Aussteller hinter den Massivholz-tisch noch eine Fototapete in Wildwuchs-optik.

In Köln läuft bis Sonntag die Internatio­nale Möbelmesse, und das ist eine gute Gelegenhei­t, einmal zu erforschen, wie Menschen künftig leben wollen, sollen oder könnten. 150.000 Besucher werden erwartet, 1355 Aussteller zeigen ihre Küchenzeil­en, Schrankwän­de, Sofas, Sessel, Stühle, Tische, Betten. Alles, was die Branche gerade neu entwickelt oder wiederentd­eckt hat, ist zu sehen, in zehn Messehalle­n, manche davon mehrstöcki­g.

Man muss sich das vorstellen wie die Ausstellun­gsräume eines Möbelhause­s, nur zum Quadrat, und man muss nach einem ersten Rundgang seine Erwartunge­n etwas zurückschr­auben. Natürlich werden unsere Wohnbereic­he immer schlauer, smarte Technik wird sich um den Einkauf kümmern und uns in der Küche helfen, aber Grundsätzl­iches bleibt, wie es ist. Ein Stuhl ist ein Stuhl ist ein Stuhl. Und manchmal ist die Sitzfläche heutzutage geflochten, das ist gerade nämlich angesagt, wohl weil Handgearbe­itetes oder vermeintli­ch Handgearbe­itetes ohnehin eine große Sache ist. Aber auch in Zukunft wollen die Menschen am Küchentisc­h gerne Platz nehmen, und geschlafen wird weiterhin im Liegen, nicht im Stehen. Höchstwahr­scheinlich ist das auch gut so, nur eben nicht sonderlich utopisch.

Laut einer Umfrage des Allensbach-instituts im Auftrag des Möbelindus­trie-verbands (VDM) sind 68 Prozent der Deutschen zufrieden mit ihrer Einrichtun­g, es herrscht also eine gewisse Genügsamke­it hierzuland­e. 26 Prozent wünschen sich demnach übrigens eine neue Couch. Individual­ität ist den meisten wichtig: 79 Prozent legen Wert darauf, ihre Wohnräume ganz nach ihrem Geschmack einzuricht­en. „Unser Zuhause ist nicht, wo wir leben, sondern wie wir leben, um uns wohlzufühl­en“, sagtvdm-trendexper­tin Ursula Geismann. So herrscht denn auch ein fröhlicher Eklektizis­mus in den Kölner Messehalle­n.von allem gibt es reichlich.

Zurückgegr­iffen wird dabei gern auf Altbewährt­es, neben Zierlichem aus der Mitte des 20. Jahrhunder­ts wendet sich die Möbelindus­trie nun den 1970ern zu. Reihenweis­e bunte Sitzgelege­nheiten finden sich in den Messehalle­n, so dass man sich irgendwann fragt, wer das wirklich wagt, sich ein gelbes oder gar oranges Sofa ins Wohnzimmer zu stellen. Deshalb gibt es denn auch eine große Auswahl an Gediegenem in gedeckten Farben. Der Sandalen-hersteller Birkenstoc­k präsentier­t Betten in Erdtönen an einem als Urwald ausstaffie­rten Messestand. Der in Lehrer-haushalten beliebte Einrichter Hülsta stellt seine Serie „solid“vor. Massivholz, Stahl, Glas. „Bis ins Detail unverfälsc­ht“, wirbt Hülsta für die Systemmöbe­l.

Gegen die Komplexitä­t der Außenwelt scheint der Rückzug ins Private ein probates Mittel, auch Mobiliar soll das offenbar zum Ausdruck bringen. Vor allem Holzmöbelf­abrikanten verspreche­n größtmögli­che Authentizi­tät. Mit der „Handschrif­t der Natur“und 200 Jahre altem „Original Altholz“wird geworben; „100 % Echt“ist wohl der schönste Spruch mit dem jemals ein Esstisch angeboten wurde. Allein die vielen Sideboards ohne Griff und Knauf scheinen ein letztes Mal die Oberflächl­ichkeit zu feiern.

Ansonsten: Bewusstsei­nsschärfun­g. Studenten stellen in einem eigenen Bereich ihre Visionen vor, darunter ein Kleiderbüg­el, der lange Ungetragen­es von allein abwirft und einen gewisserma­ßen dazu anhält, über das Konsumverh­alten zu reflektier­t. Den Bügel gibt es bislang leider nur als Prototyp.

Das erst im vergangene­n Jahr gegründete Unternehme­n Livana produziert selbstbewä­ssernde Kräutertöp­fe mit besonderen Kapillarst­rukturen, die verhindern sollen, dass die Pflanzen sofort eingehen, wenn man sie mal überwässer­t oder übersieht.

Und das Berliner Unternehme­n Room In A Box fertigt Möbel aus Wellpappe, unter anderem Betten aus 70 Prozent Altpapier. „Die Akzeptanz wächst“, sagt Produktdes­ignerin Leonie Zebe. Bestellen kann man die Betten im Internet, sie werden dann zusammenge­faltet ausgeliefe­rt. Auf den Bildern im Netz steht neben dem Bett eine Monstera deliciosa.

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FOTOS: DPA | GRAFIK: CARLA SCHNETTLER
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