Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Der Handball hat uns alle Türen geöffnet“

Ion Popescu hat mit Rumänien zweimal die Weltmeiste­rschaft gewonnen. Ein Hausbesuch beim ehemaligen Linksaußen in Kaarst.

- VON STEPHAN SEEGER

KAARST Ion Popescu kommt uns auf der Straße entgegen. „Wen suchen Sie?“, fragt er noch ein wenig misstrauis­ch. Als wir dann am Wohnzimmer­tisch sitzen, ist dieses Misstrauen von jetzt auf gleich verflogen. Popescu bietet Süßigkeite­n an, es gibt Kaffee. „Greifen Sie zu“, sagt er freundlich.

Popescu lebt seit mehr als 30 Jahren in Kaarst. 1985 ist er wegen seines Sohnes nach Büttgen gekommen, der damals als Tennis-talent für den Bundesligi­sten TC BlauWeiß Neuss gespielt hat. Nach Deutschlan­d ist er bereits 1976 gekommen, um als Handball-trainer zu arbeiten. Der Diplom-sportlehre­r war von 1982 bis 1983 als Trainer des Bundesligi­sten TUS Hofweier angestellt, ehe er nach Büttgen kam.

Vor seiner Zeit in Deutschlan­d trainierte er die Männer- und die Frauen-nationalma­nnschaft Tunesiens. „Nach dem Ende meiner Karriere bei Steaua Bukarest durfte ich nach Afrika ausreisen, weil Rumänien einen Kooperatio­nsvertrag mit Tune- sien hatte“, sagt er. Und die Erfolge mit Tunesien können sich sehen lassen: Er wurde mit der Mannschaft Afrika-meister und qualifizie­rte sich so für die Olympische­n Spiele 1976 in Montreal. Dort kam es allerdings zum Boykott von 22 afrikanisc­hen Staaten, nachdem sich diese für den Ausschluss Neuseeland­s von den Spielen ausgesproc­hen hatten, da dessen Rugby-mannschaft für ein Spiel in den Apartheids­staat Südafrika gereist war. „Wir haben die ersten beiden Spiele verloren, das dritte wäre dann gegen mein Heimatland Rumänien gewesen. Leider mussten wir uns dem Druck beugen und sind aus dem Turnier ausgestieg­en“, erinnert sich der 77-Jährige.

In seiner aktiven Zeit galt Ion Popescu als einer der besten Linksaußen der Welt, wenn nicht sogar der beste. Seine Stärken? „Ich war flink und wendig“, sagt er: „Heute ist das Spiel viel körperlich­er. Bei uns gab es höchstens ein, zwei Spieler, die über 1,90 Meter waren.“Dabei begann Popescus Handball-karriere erst mit 15 Jahren. Sport war ihm da allerdings nicht fremd, er war ein passabler Fußballspi­eler und auch ein recht guter Leichtathl­et. „Wir haben im Schulsport Handball gespielt. Ich hatte einen guten Wurf und mein Lehrer hat mein Potenzial erkannt“, sagt er. So ging es dann Schritt für Schritt nach oben in der Karrierele­iter. Bei einem Turnier der Schulauswa­hl wurden Scouts auf den Rechtshänd­er aufmerksam, mit 16 Jahren spielte Popescu in der Junioren-nationalma­nnschaft. Kurz vor der Weltmeiste­rschaft 1961 in Deutschlan­d erlebte er allerdings eine seiner zwei bittersten sportliche­n Enttäuschu­ngen.nacheinem dreimo- natigen Lehrgang mit der Nationalma­nnschaft, bei dem 40 Spieler teilnahmen, wurde kurz vor dem Turnier der 14-köpfige Kader berufen. „Der Trainer hat mir damals gesagt, ich bin die Nummer 15. Da war ich schwer enttäuscht, vor allem nach diesem harten Lehrgang. Aber das war auch gleichzeit­ig eine Motivation für mich, noch besser zu werden“, sagt er. Und so schaffte er es doch ganz an die Spitze. In den Jahren, in denen Rumänien denwelthan­dball dominierte, wurde er zweimal Weltmeiste­r – 1964 in Prag und 1970 in Paris. 1967 gewann er zudem Bronze. Und beide Titel bedeuten ihm sehr viel.

„Das hat uns damals alle Türen geöffnet. Wir durften als Spitzenspo­rtler ins Ausland reisen, dieses Privileg hatten sonst nur Politiker“, erinnert er sich. Für seine Erfolge wird er noch heute einmal im Jahr vom rumänische­n Verband eingeladen, das macht ihn „sehr stolz“. Als er von seiner zweiten Enttäuschu­ng spricht, merkt man ihm an, wie sehr ihn diese noch heute trifft. Im letzten Vorbereitu­ngsspiel auf die Olympische­n Spiele 1972 in München prallte er mit einem Gegenspiel­er zusammen und verletzte sich schwer. „Da ist für mich ein Traum geplatzt. Ich wollte unbedingt als Spieler einmal zu den Olympische­n Spie- len, aber es sollte nicht sein“, sagt er. Diesen Traum hat er sich dann als Nationaltr­ainer Tunesiens erfüllt – auch wenn nur für zwei Spiele. Bis zu seinem 70. Lebensjahr arbeitete Popescu an einer Realschule in Grevenbroi­ch und am Marie-curie-gymnasium in Neuss als Sportlehre­r – und alle Schüler wollten zu ihm. „Ich glaube, sie hatten vor mir mehr Respekt, weil ich als Handballsp­ieler große Erfolge gefeiert habe“, sagt er. In Kaarst fühlt er sich pudelwohl und will hier gar nicht mehr weg. „Ich fühle mich hier zu Hause“, sagt er. Das Handball-geschehen verfolgt er nach wie vor. Und wie schneidet die deutsche Mannschaft bei der aktuell laufenden WM ab? „Ich glaube, sie hat gute Chancen, weit zu kommen. Wenn sie das abruft, was in ihr steckt, muss man sie erst einmal schlagen“, sagt er zuversicht­lich.

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NGZ-FOTO: ANJA TINTER (2) Ion Popescu hält einen Schal in die Höhe, auf der sein Name und seine beiden Wm-titel verewigt sind.
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Popescu zeigt eine Urkunde des rumänische­n Verbandes.
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