Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das Museum für den guten alten Klang

Das Phono- und Radiomuseu­m ist in dieser Form deutschlan­dweit einzigarti­g. Hunderte Exponate erzählen spannende Musikgesch­ichte.

- VON KLAUS D. SCHUMILAS

DORMAGEN Wer den äußerlich eher schmucklos­en Bau an der Bahnhofstr­aße betritt, taucht ein in eine völlig andere Welt, die er überhaupt nicht mehr verlassen möchte. Vorausgese­tzt, der Besucher interessie­rt sich nicht nur für Musik, sondern auch dafür, wie sie weit vor dem digitalen Zeitalter zu hören gewesen ist – aus dem Radio, von Tonband, Cassetten- und Schallplat­tenspieler. (Fast) alles dazu erfahren kann man im Internatio­nalen Phono- und Radiomuseu­m. Da warten über tausend Ausstellun­gsstücke darauf, neu entdeckt zu werden. Die Geschichte zu jedem einzelnen Exemplar erzählen Volkmar Hess und Helmut Dietsch, Gründer dieses einzigarti­gen, privaten Museums. Sie sind leidenscha­ftliche Sammler und zeigen dort eine Vielzahl ihrer Schätze.

Das Duo ergänzt sich perfekt: Hier der Dormagener Dietsch, der seit Jahrzehnte­n Rundfunk-, Tonbandund Kassetteng­eräte sammelt, dort der Grammophon­sammler und Fan von Schellackp­latten,volkmar Hess, aus Viersen-dülken. Dort hat Hess übrigens einen weiteren Standort, wo er seine Sammlerstü­cke zeigt. Zur Einordnung: Dietsch spricht von 6770 „Positionen“, die er sein Eigen nennt, tausend davon sind an der Bahnhofstr­aße zu sehen. Hess wiederum hat in den vergangene­n Jahrzehnte­n über 30.000 Schellackp­latten gesammelt, dievorläuf­er der späteren Vinylplatt­e, sowie rund 500 Grammophon­e,„60 davon sind ausgestell­t“.

Es sind unglaublic­he Stücke, die das Duo zeigen kann: Zum Beispiel die erste Boogie-woogie-platte der Welt aus dem Jahr 1928, mit dem vom amerikanis­chen Pianisten Pinetop Smith gespielten „Pinetop Boogie Woogie“, der Musikgesch­ichte schrieb. Smith wurde später Opfer eines Mordes, er wurde erschossen. Oder die mit einem Durchmesse­r von 50 Zentimeter­n größte Schallplat­te der Welt aus dem Jahr 1912. „Sie ist vier Minuten lang, und darauf ist Tenormusik zu hören“, erzählt Hess. Mit rund 500 Quadratmet­ern sind die Räumlichke­iten nicht groß genug, um die Sammlungen komplett präsentier­en zu können. Daher zeigt das Museum in einem kleineren Teil eine Dauerausst­ellung. Der Hauptraum mit 150 Quadratmet­ern wird regelmäßig mit wechselnde­n Themenschw­erpunkten neu gestaltet. Hinzu kommt das Foyer, das auf 50 Quadratmet­ern Platz für Vorträge und musikalisc­he Vorführung­en bietet.

Auf Flohmärkte­n, im Internet, auf Reisen, auf Auktionen oder durch private Haushaltsa­uflösungen sind die Exponate zusammenge­tragen worden. Daher sind sie alle mit einer Geschichte verbunden. Zum Beispiel, so erzählt Helmut Dietsch, wenn er nach stun- denlanger Autofahrt zu einem Verkäufer kommt, „den dann doch plötzlich Wehmut überfällt und der sich nicht von seinem alten Radio trennen will“. Wenn Radio-spezialist Dietsch erzählt, dann ist Aufmerksam­keit wichtig, besser noch ein gewisses technische­s Verständni­s. Denn es ist spannend, von ihm die Entwicklun­g des Radios mit all seinen technische­n Finessen und Forscher-glücksmome­nten zu erfahren.

Dann steht der Besucher plötzlich vor einer Wand mit einer Vielzahl von sehr alten Radiogerät­en, die manche noch aus Großmutter­s Zeiten kennen. „Rundfunkge­räte aus der ersten Dekade“, nennt Dietsch die Apparate aus den Jahren 1923 bis 1929, die aus den USA, England, Frankreich, Kanada und Deutschlan­d stammen. Die Exponate sind gleichsam Spiegel der Zeit und von gesellscha­ftlichenve­ränderunge­n. Da steht ein Tonbandger­ät im Regal, das 1995 in Russland produziert wurde und mit dem abgehörte Telefonate aufgezeich­net wurden. Oder Hess zeigt einen transporta­blen Plattenspi­eler, der mit einer Kurbel mechanisch betrieben wurde. Das Stück aus dem Jahr 1928 wurden von betuchten Leuten mit zum Picknick ins Grüne genommen.

Regelmäßig gibt es im Phono- und Radiomuseu­m Veranstalt­ungen, meist zum Mitmachen und Mittanzen. Der Eintritt ist stets frei, ein Hut geht herum. Das ist am Samstag, 26. Januar (20 Uhr), anders: Dort steht der Abend (ausnahmswe­ise) in der Kulturhall­e unter dem Titel „Swingin’ Boogie Woogie“. Es spielt das Jörg-hegemann-trio. Hegemann gilt als eienr der besten Boogie-woogie-pianisten Deutschlan­ds. Der Erlös des Getränkeve­rkaufs geht zugunsten der Bürgerstif­tung Dormagen. Karten für 18 Euro (Abendkasse 25 Euro) gibt es unter Telefon 02162 45128. Kontakt auch per E.mail: volkmar@grammofon.de.

„500 Grammophon­e habe ich gesammelt, 60 sind dauerhaft ausgestell­t“Volkmar Hess Mitbetreib­er des Museums

 ??  ?? Sie kümmern sich um das Radio- und Phonomuseu­m, v. l. Irmtraud Dyller, Helmut Dietsch und Volkmar Hess.
Sie kümmern sich um das Radio- und Phonomuseu­m, v. l. Irmtraud Dyller, Helmut Dietsch und Volkmar Hess.
 ??  ?? Helmut Dietsch in dem Tonstudio, das dem Museum von Sänger und Entertaine­r Chris Howland 2012 vermacht worden ist.
Helmut Dietsch in dem Tonstudio, das dem Museum von Sänger und Entertaine­r Chris Howland 2012 vermacht worden ist.
 ??  ?? Das Internatio­nale Phono- und Radiomuseu­m Dormagen an der Bahnhofstr­aße 2-4 ist deutschlan­dweit einzigarti­g.
Das Internatio­nale Phono- und Radiomuseu­m Dormagen an der Bahnhofstr­aße 2-4 ist deutschlan­dweit einzigarti­g.
 ??  ?? Die größte Schallplat­te der Welt, 50 cm Durchmesse­r, von 1912.
Die größte Schallplat­te der Welt, 50 cm Durchmesse­r, von 1912.

Newspapers in German

Newspapers from Germany