Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Bekenntnis zum Freihandel
Beim Besuch der Bundeskanzlerin in Tokio präsentieren sich Japan und Deutschland als verbündete Hüter der internationalen Ordnung. Doch bei aller Einigkeit fällt auf: Dieses Bild lebt auch von Auslassungen.
TOKIO Man könnte denken, hier wird gerade die Welt gerettet. In den zwei Tage, die Bundeskanzlerin Angela Merkel Anfang derwoche in Japan verbracht hat, mangelte es nicht anworten voller Dringlichkeit. „Die Rollen, die Japan und Deutschland spielen, werden jetzt größer und größer“, sagte der japanische Premier Shinzo Abe. Dieses Treffen solle eine in Unordnung geratene Welt zur Zusammenarbeit anspornen, fand Merkel. Außenminister Heiko Maas kommentierte zudem aus der Ferne, die beiden Länder sollten „so etwas werden wie die Motoren einer internationalen Ordnung“, also idealerweise„kern einer Allianz der Multilateralisten.“
Nun sah sich die Idee des Multilateralismus, dass sich also die Länder der Welt auf ein gemeinsames Regelwerk einigen und dieses auch befolgen, zuletzt arg herausgefordert. Da ist der protektionistische Us-präsident Donald Trump, da sind die britischen Brexit-befürworter, aber auch das bestehende Regeln aushebelnde China sowie rechtspopulistische Strömungen in vielen anderen Staaten. Und dagegen stehen Deutschland und Japan, zwei der größten Exportnationen, die für ihren Wohlstand den Multilateralismus so dringend benötigen. Auf dieser Mission warmerkel intokio. Während ihrer nun gut 13-jährigen Amtszeit war esmerkels fünfter Besuch im ostasiatischen Land, Premier Abe und sie sprechen sich mittlerweile mit Vornamen an. Sie erwähnen auch sonst gern, dass sie Freunde sind und vieles gemeinsam anpacken. Erstes Beispiel: das größte Freihandelsabkommen der Geschichte, das Anfang Februar zwischen der EU und Japan in Kraft getreten ist. Unter großer Eile hatten sich die Parteien auf einen Vertrag geeinigt, nachdem Trump mit seiner Wahl 2016 flugs aus allen Ver- handlungen ausgetreten war. Jefta, wie sich das Abkommen nennt, schließt 600 Millionen Menschen und knapp ein Drittel der Weltwirtschaft ein, sieht das Abschaffen von 99 Prozent aller Handelsbeschränkungen vor.
Auch in der Sicherheitspolitik ist eine engere Zusammenarbeit zwischen Japan und Deutschland möglich. Japan wünscht sich deutsche Unterstützung im indopazifischen Raum, um die Gewässer dort gemeinsam mit Indien, Australien und den USA gegenüber chinesischen Ansprüchen zu schützen. Merkel hat zumindest Sympathie bekundet, wenngleich sie sich mit konkreten Versprechen zurückhielt. Konkret soll dagegen eine Zusammenarbeit auf der Ebene der Cybersicherheit werden, was in beiden Ländern durch die jüngsten Spionagevorwürfe gegen chinesische Hardwarehersteller wieder aktuell geworden ist.
Noch eine multilaterale Sphäre sind die Vereinten Nationen, wo Deutschland seit Januar für zwei Jahre nicht-ständiges Mitglied im Sicherheitsrat ist und damit auch die Federführung im Sanktionsausschuss Nordkorea übernimmt. Was die mögliche Aufhebung der Un-sanktionen gegen Nordkorea angeht, wolle sich Deutschland, so Merkel am Dienstag, in seinem Stimmverhalten genau mit Japan absprechen. Japan wiederum, über dessen Gebiet zuletzt von Nordkorea getestetes Geschoss flog, pocht immerzu auf einen harten Umgang mit dem Regime und zügige Denuklearisierung.
Bei aller Einigkeit fällt auf, was alles nicht besprochen wurde. Ein in beiden Ländern dringliches Thema ist der sich weiter prekarisierende Arbeitsmarkt, der auch Nährboden für Rechtspopulismus darstellt. In Deutschland hat heute rund ein Viertel der Arbeitsbevölkerung keinen Vollzeitjob, in Japan sind es so- gar an die 40 Prozent. Auch in anderen Bereichen, wo es wehtun könnte, wollen sich die Regierungsoberhäupter nicht gegenseitig reinreden. Japan hält weiterhin an der Todesstrafe fest und trat Ende des Jahres aus der Internationalen Walfangkommission aus, um ab Sommer wieder kommerziell auf Jagd gehen zu können. Bei ihren früheren Besuchen erwähntemerkel derartige Uneinigkeiten noch. Diesmal scheint die größere internationale Ordnung wichtiger zu sein. Nicht zuletzt der internationale Wettbewerb müsse laufen, der bringe die Länder zusammen. Durch Konkurrenz werde man eher besser als schlechter, sagte Merkel mit Verweis auf das Konkurrenzverhältnis zwischen deutschen und japanischen Firmen in diversen Branchen.
Dabei funktionierte der Wettbewerb in einigen Branchen auch schon vor dem Inkrafttreten von Jefta. Deutschland, das als einer der größten Waffenexporteure der Welt nicht unwesentlich zur derzeitigen internationalen Unordnung beiträgt, hat in der Rüstungsindustrie seit gut vier Jahren einen neuen Konkurrenten. Damals legalisierte Japan nach zuvor jahrzehntelangem Verbot den Export von Rüstungsgütern. Was davon wirklich besser wird, dazu schwiegen die Freunde bei ihremtreffen.