Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Unselige Kultur des Schweigens
Jahrzehntelang hat die katholische Kirche sexuelle Verbrechen gegen Ordensschwestern vertuscht. Jetzt wird das Ausmaß deutlich.
ROM In zwei Wochen wollen die Vorsitzenden der rund 130 katholischen Bischofskonferenzen mit Papst Franziskus und der Kurie im Vatikan über sexuellen Missbrauch und „Kinderschutz“diskutieren. Ein gewichtiger Aspekt des Themas kommt dabei erst jetzt zum Vorschein: der Missbrauch von Ordensschwestern. „Es gibt Priester und auch Bischöfe, die das gemacht haben. Und ich glaube, es wird immer noch gemacht“, sagte Papst Franziskus am Dienstag vor Journalisten auf dem Rückflug seines Besuchs in denvereinigten Arabischen Emiraten. „So etwas hört ja nicht auf, sobald man es merkt.“
Franziskus sprach über ein Phänomen, das die katholische Kirche bislang weitgehend ignoriert. Langsam scheint Bewegung in die Thematik zu kommen. In seiner Februar-ausgabe hatte das Magazin „Frauen, Kirche, Welt“, eine Beilage der Vatikanzeitung„l‘osservatore Romano“, ebenfalls zum Thema Stellung genommen.
Die Historikerin Lucetta Scaraffia schrieb dort: „Die jahrhundertealte Kultur innerhalb der kirchlichen Institution, derzufolge die Frau als gefährlich und verführerisch dargestellt wird, lässtdie Gewalt, auch wenn sie angezeigt wird, als von beiden Seiten freiwillig begangene sexuelle Überschreitungen erscheinen.“Diese Analyse teilt offenbar auch Papst Franziskus: „Ich wage zu behaupten, die Menschheit ist noch nicht reif. Frauen gelten als Menschen zweiter Klasse.“
Im September vergangenen Jah- res wurde der Bischof der nordindischen Diözese Jalandhar wegen Vergewaltigungsvorwürfen verhaftet. Eine 44-jährige Nonne hatte Franco Mulakkal angezeigt und beschuldigt, sie zwischen 2014 und 2016 dreizehnmal vergewaltigt zu haben. Die Ordensschwester soll eine 72 Seiten lange Dokumentation an mehrere kirchliche Stellen und schließlich an den Vatikan geschickt, aber keine Antwort bekommen haben. Als sie zur Polizei ging, wurden mehrere Zeugen bedroht, ein Priester kam sogar ums Leben. Drei weitere Schwestern erheben Vorwürfe gegen den Bischof. Mulakkal ist inzwischen gegen Kaution auf freiem Fuß.
Erst vergangene Woche war ein hoher österreichischer Geistlicher im Vatikan von seinem Amt zurückgetreten. Die ehemalige deutsche Ordensschwester Doris Wagner hatte Pater G., dem bisherigen Leiter der theologischen Abteilung in der Glaubenskongregation, vorgeworfen, von ihm 2009 im Beichtstuhl bedrängt worden zu sein. G., der wegen zwei Vorgängen vom Vatikan abgemahnt worden sein soll, wies die Vorwürfe zurück, bat aber um seine Entlassung. Wagner beschuldigt einen weiteren Angehörigen des Ordens, sie 2008 in Rom mehrfach vergewaltigt zu haben.
Papst Franziskus berichtete, sein Vorgänger Benedikt XVI. habe sich bereits als Kardinal für die Schlie- ßung eines Instituts eingesetzt, in dem Frauen bis hin zur „sexuellen Versklavung“misshandelt worden seien. Als Papst soll Joseph Ratzinger dann gegen die französische „Gemeinschaft der Schwestern des Heiligen Johannes“vorgegangen sein. Wie lange das Thema in der Kirche schon nicht ernst genommen wurde, zeigen zwei Berichte an den Vatikan: 1995 verfasste die Entwicklungshelferin und Ordensschwester Maura O‘donohue einen
Im vergangenen November hatte die Internationale Vereinigung der Generaloberinnen katholischer Ordensinstitute Nonnen dazu aufgerufen, Missbrauch anzuzeigen, und die „Kultur des Schweigens“in der Kirche beklagt. Organisation Die rund 2000 Oberinnen vertreten etwa 500.000 Ordensschwestern weltweit. Die Untersuchung dauert an. Report über Missbrauch gegen Ordensschwestern in 23 Ländern. Einen zweiten Bericht fertigte 1998 die Ordensfrau Marie Mcdonald an und folgerte: „Sexuelle Belästigung und sogar dievergewaltigung durch Priester und Bischöfe sind häufig.“Der Vatikan beließ es in vielen Fällen bei generellen Ermahnungen.
Im Januar berichtete die französische katholische Tageszeitung„la Croix“über Missbrauch von Nonnen in der Kirche. Die Unterordnung der Frau in Gesellschaft und Kirche sowie ihre Geringschätzung innerhalb des Klerus begünstige den Missbrauch. In Entwicklungsländern wähnten sich Kleriker zudem vor Hiv-infektionen sicherer, wenn sie Nonnen als Opfer wählen. „La Croix“zitiert einen anonymen afrikanischen Missionar in Afrika mit den Worten: „Wenn wir eines Tages enthüllen müssten, was hier passiert, wäre das eine Bombe.“