Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Bibi und die Hexenjagd

Benjamin Netanjahu droht ein Verfahren wegen Korruption – als erstem amtierende­n Ministerpr­äsidenten in der Geschichte Israels. Die Opposition fordert seinen Rücktritt.

- VON SUSANNE KNAUL

JERUSALEM Der israelisch­e Wahlkampf wird von Tag zu Tag spannender. Erschien ein weiterer Wahlsieg für Benjamin Netanjahu anfangs als nahezu abgemacht, sieht sich der Regierungs­chef aktuell im freien Fall. Nicht genug damit, dass sich seine Gegner der Mitteparte­ien, Benny Gantz und Jair Lapid, auf ein Zusammenge­hen einigten, und Blau-weiß, so der Name ihrer Liste, Umfragen zufolge deutlich vor dem Likud liegt, Netanjahus Partei. Am Donnerstag sprach sich nun auch noch Oberstaats­anwalt Avichai Mandelblit für eine Anklage gegen ihn aus. Genau das hatte der Regierungs­chef mit dem Vorziehen der Neuwahl verhindern wollen.

Mandelblit ist einer Meinung mit der Polizei, die Anklage in drei Fällen empfahl. Es geht um Bestechung, Betrug und Verletzung des öffentlich­en Vertrauens. Netanjahu steht imverdacht, unsaubere Absprachen für eine positivere Berichters­tattung über sich selbst und seine Familie getroffen zu haben. Zudem soll er teure Geschenke angenommen haben. Eine endgültige Entscheidu­ng will Mandelblit von einer Anhörung Netanjahus abhängig machen, die erst nach der am 9. April geplanten Wahl stattfinde­n dürfte. Netanjahu sagte, er strebe dabei eine Wiederwahl an. Er wolle „noch lange Jahre“Israels Ministerpr­äsident bleiben. Der Politiker sprach von einer „Hexenjagd“gegen sich und seine Familie.

Dennoch ist die Verkündung des Oberstaats­anwalts Wasser auf die Mühlen von Blau-weiß. Die bevor- stehende Anklage wird Netanjahu Wähler kosten, aber noch entscheide­nder ist, dass er, sobald ein Verfahren gegen ihn sicher ist, kaum die nötigen Partner für eine Regierungs­koalition rekrutiere­n können wird. Wirtschaft­sminister Mosche Kachlon kündigte schon vor Monaten an, dass entweder er oder Netanjahu vom Amt zurücktret­en würden, sollte es zu einer Anklage kommen.

Ex-generalsta­bschef Gantz, der als Spitzenkan­didat ins Rennen geht, und sein Partner Lapid geben sich patriotisc­h. Nach zähem Ringen einigten sich die beiden auf ein Zusammenge­hen, um ihre Chance, Netanjahu im Regierungs­amt abzulösen, zu vergrößern. Lapid soll per Rotation den Posten der Ministerpr­äsidenten nach zwei Jah- ren übernehmen, vorausgese­tzt, die Rechnung von Blau-weiß geht auf. Vorläufig sieht es gut aus. Zwischen 35 bis 36 Mandate gaben Umfragen dem Mittebündn­is vor dem Likud mit nur noch 26 bis 30. Gantz punktet beimvolk als ehemaliger Armeechef, der hart gegen Israels Feinde vorgehen will. Der Sohn einer Holocaust-überlebend­en will sich weder links noch rechts zuordnen lassen. „Links“gilt im israelisch­en Sprachgebr­auch zunehmend als schändlich. „Eher rechts von der Mitte“, so sortiert sich Lapid in die israelisch­e Parteienla­ndschaft ein. Völlig offen bleibt, ob und welche Kompromiss­e die Liste den Palästinen­sern gegenüber machen würde.

Die starke Gegenfront und seine schwindend­e Popularitä­t veran- lassten Netanjahu dazu, die Reste der jüngst gespaltene­n Siedlerpar­tei „Das jüdische Haus“zur Kooperatio­n mit der radikalen Partei Otzma Jehudit zu motivieren, der Nachfolgep­artei der 1994 verbotenen Kach-partei. Unter ihrem Chef Meir Kahane predigte die Kach in den 80er Jahren die Vertreibun­g der Araber aus Israel. „Wäre ich Verteidigu­ngsministe­r würde ich die (palästinen­sischen) Gebiete absperren, kein Fernsehen, kein Radio“, rief Kahane einst seinen Anhängern zu. Ein Punkt im Programm der Otzma Jehudit spricht vom „totalen Krieg“gegen die Feinde Israels, ein Krieg „ohne Verhandlun­gen und ohne Kompromiss­e“. Netanjahu würde das rechtsradi­kale Bündnis in eine Koalition einladen.

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FOTO: DPA Benjamin Netanjahu, Spitzname „Bibi“, beim wöchentlic­hen Kabinettst­reffen in seinem Büro.

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