Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Liebe in Marmor, Erotik in Stein

Das Taj Mahal ist weltberühm­t als grandioses Symbol ewiger Liebe. Die Tempel von Khajuraho hingegen begeistern mit tausend Jahre altem Sex.

- VON EKKEHART EICHLER

Es kann nur eine Fata Morgana sein, die der Morgennebe­l da urplötzlic­h ausatmet. Ein ätherisch flirrender Hauch, weiß und transparen­t wie ein Hochzeitss­chleier, zart und filigran wie ein Schmetterl­ingsflügel. Einmal Augen reiben, doch das vermeintli­che Trugbild will nicht verblassen. Im Gegenteil: Mit jedem Lidschlag materialis­iert es sich deutlicher. Und als sich der Dunst vom nahen Fluss endlich verflüchti­gt, strahlt es dann ganz real unter blauem Himmel: das einzigarti­ge und wunderbare Taj Mahal. Oder wie es der große Dichter Rabindrana­th Tagore einst poetisch pries: „Eine Träne auf der Wange der Zeit.“

Als 1631 Mumtaz Mahal, die Lieblingsf­rau des Großmoguls Shah Jahan, bei der Geburt ihres vierzehnte­n Kindes stirbt, gibt dieser – tief erschütter­t ob desverlust­es – ein Mausoleum in Auftrag, das alles bisher Dagewesene an Schönheit undvollkom­menheit übertreffe­n sollte. Und 17 Jahre später schon wird dieses Wunder wahr.

Das atemberaub­end schöne Grabmal aus weißem Marmor steht auf einer Plattform inmitten eines Gartens aus symmetrisc­h angelegten Wasserläuf­en und Fontänen. Es wird gekrönt von einer Zwiebelkup­pel und flankiert von minarettar­tigen Türmen, die leicht nach außen geneigt sind – bei einem Erdbeben würden sie also nicht auf das Grabmal stürzen. Blendnisch­en und Zierpavill­ons vermitteln den Eindruck schwebende­r Leichtigke­it. Schriftbän­der mit Suren aus dem Koran säumen die Portale. Blumen- und Rankenreli­efs aus Marmor schmücken den unteren Teil der Fassade.

Im Zentrum der Anlage stehen die Kenotaphe (Scheingräb­er) von Mumtaz Mahal und Shah Jahan, verschwend­erisch geschmückt mit Intarsien aus Halbedelst­einen und umgeben von einem prächti- gen Marmorgitt­er. Die sterbliche­n Überreste des Paares ruhen unmittelba­r darunter in der nicht zugänglich­en Grabkammer. Auf ewig verbunden, wie im Leben, so auch im Tode. Kein Wunder folglich, dass dieses Symbol tiefer Zuneigung für frisch vermählte indische Eheleute fast Wallfahrts­ort-charakter hat.

So unangefoch­ten das Taj Mahal den touristisc­hen Thron Indiens besetzt, so felsenfest behauptet sich auf Platz zwei eine noch viel aufregende­re Attraktion. Oder besser gesagt, eine erregender­e. Im kleinen Ort Khajuraho nämlich – eine Tagesreise südlich vom Taj Mahal – haben es 22 alte Tempel zu weltweitem Ruhm gebracht. Dank Indiens wohl delikatest­em Kulturerbe.

Denn in Khajuraho geht es zur Sache. Ungeniert und ungehemmt geben sich hier attraktive Menschen – von unbekannte­n Steinmetzm­eistern vor tausend Jahren kunstvoll aus Sandstein skulptiert – erotischen Spielen hin. Zumeist spärlich bekleidete Herren und Damen bei freizügige­m Sex zu zweit, zu dritt oder gar zu viert; zugange sind aber auch Männer mit Männern, Frauen mit Frauen, auf einem Fries sogar Soldaten mit einem Pferd.

Im erotischen Freilichtk­ino von Khajuraho gibt es raffiniert­e Verführung zu bestaunen und ausgedehnt­esvorspiel – eine überaus plastische und vollkommen tabulose Zurschaust­ellung von sexueller Aktivität, wie man sie nirgendwo sonst je in aller Öffentlich­keit gesehen hat. Geschweige denn an götterngew­eihten Tempeln.

Doch was im prüden Indien von heute unvorstell­bar wäre, war zur Bauzeit der Tempelstad­t zwischen 950 und 1070 offensicht­lich völlig normal. Damals stand die altindisch­e Liebeslehr­e Kamasutra hoch im Kurs und war mitverantw­ortlich für ein Klima sexueller Unverkramp­ftheit.

Um Missverstä­ndnissen vorzubeuge­n: Das Skulpturen­ensemble besteht nur zu etwa zehn Prozent aus solch frivolen Akten, die außerdem oft gar nicht so leicht zu entdecken sind in der Fülle der Szenen. Insgesamt schmücken über 2000 Skulpturen die Steilwände. Auch wenn es also auf den ersten Blick so scheinen mag – die Tempel von Khajuraho sind sehr viel mehr als ein steinerner Kamasutra-katalog. Aber erkläre das mal einer den Busladunge­n verschämt kichernder Touristen.

Indien

Anreise Zum Beispiel mit Air India von Frankfurt nach Delhi (ab 505 Euro, Flugzeit ca. acht Stunden); zur Einreise ist ein Visum erforderli­ch, das vorab besorgt werden muss (bei Gruppenrei­sen über Veranstalt­er).

Beste Reisezeit

Von Oktober bis April ist es im Norden regenfrei bei angenehmen Temperatur­en. Übernachtu­ngen In Agra zum Beispiel Hotel Mansingh Palace, DZ/F ab 80 Euro, www.mansinghho­tels.com. In Khajuraho Ramada, DZ/F ab 60 Euro, www.ramadakhaj­uraho.com. Pauschalre­isen Eine Zehn-tage-privatreis­e „Vom Taj Mahal zum Ganges“gibt es bei Gebeco ab 1085 Euro (ohne Flug). Sprache Amtssprach­e ist Hindi. Daneben gelten auch Englisch (noch aus der Kolonialze­it) und 17 gleichbere­chtigte Regionalsp­rachen als Amtssprach­e. Währung In Indien wird mit Rupien bezahlt. Gesundheit Unbedingt empfehlens­wert sind Malariapro­phylaxe und Tetanussch­utzimpfung, ratsam Hepatitis- und Typhusschu­tz. Meiden Sie beim Essen und Trinken alles, was mit Leitungswa­sser in Berührung gekommen sein könnte. In die Reiseapoth­eke gehören Mittel gegen Durchfall und Erkältunge­n sowie eine Sonnencrem­e mit hohem Lichtschut­zfaktor. Internet www.india-tourism.net www.icrediblei­ndia.org www.gebeco.de

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FOTOS (2): EKKEHART EICHLER Bildschön und weltberühm­t: Das Taj Mahal ist Indiens bedeutends­te touristisc­he Attraktion.
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Die Vereinigun­g ist hier kein in erster Linie körperlich­er Akt, sondern eine spirituell­e und damit religiöse Form der Gotteserfa­hrung.

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