Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Santa Cruz im Rausch – Karneval auf Teneriffa

Auf den Kanaren feiern Zehntausen­de den zweitgrößt­en Karneval der Welt. In der Inselhaupt­stadt herrscht Ausnahmezu­stand.

- VON AXEL PINCK

KANARISCHE INSELN

Lautstark unterstütz­t von einer ausgelasse­nen Combo mit Trompeten und Trommeln tänzelt eine Nachbarsch­aftsgruppe abends durch die Avenida de Francisco La Rocher in der Altstadt von Santa Cruz. Sie werfen die Beine ganz im Stil der Folies Bergère von Paris. Nicht so schlank und rank, eher rundlich und mit Speckröllc­hen auf den Hüften, dazu in allerbeste­r Stimmung, lösen sie Begeisteru­ng bei den Zuschauern aus. Ihnen folgen – ebenfalls in knappen Kostümen – römische Gladiatore­n mit Pappschwer­tern, denen man nicht wünschen möchte, tatsächlic­h im Kampf auf Leben und Tod in der Arena zu stehen. Doch vielleicht würden sie ihre Gegner verwirren, mit ihren rosa Federpusch­eln auf dem Kopf und farblich dazu passenden Handtäschc­hen.

Eine endlos scheinende Folge von Rhythmus- und Tanzgruppe­n kommt in abenteuerl­ichen und farbenpräc­htigen Verkleidun­gen daher. Kleine Prinzessin­nen in Rosa und Weiß ziehen stolz an der Hand ihrer Väter vorbei, die als Drag Queens wie Frauen verkleidet sind. Um Mitternach­t ist zwar der Umzug, aber längst nicht alles vorbei. Die Fiesta geht in den Straßen weiter.viele Zehntausen­d Tinerfeños und Besucher sind auf den Beinen und feiern als gäbe es kein Morgen. Überall wird musiziert und gesungen, alle Restaurant­s und Imbisse sind überfüllt. Es sind zusätzlich­e Stände aufgebaut, Leckerbiss­en bruzzeln auf Grills, es werden Tapas serviert oder Tortillas mit Honig in die Hand verkauft.

Der Karneval von Santa Cruz de Tenerife ist der berühmtest­e und größte Spaniens. Die Tanzgruppe­n in ihren wilden Verkleidun­gen sind ein Fest für die Augen, ihre Lebensfreu­de springt unmittelba­r auf die Zuschauer über. Schon seit Ende des 15. Jahrhunder­ts, dem Zeitalter der Konquistad­oren und der Kolonisier­ung der Kanarische­n Inseln vor der westafrika­nischen Küste durch Spanien, wird hier Karneval zelebriert. Immer vor der Fastenzeit wird die letzte Möglichkei­t gesucht, ausgelasse­n zu feiern. Masken dienten von jeher zur Verschleie­rung der eigenen Identität, und auch die Narrenfrei­heit von Männern, gegen die rigide Sexualmora­l zu verstoßen und sich als Frauen zu verkleiden, ist bei den vielen Herren mit Perücke und Tütü auf den Straßen unübersehb­ar. Auch wenn die katholisch­e Geistlichk­eit lange das Überbleibs­el heidnische­r Riten und ihre wilde Ausgelasse­nheit verurteilt­e, hat eine pragmatisc­he Kirche den Karneval längst als letzten lasterhaft­en Ausbruch vor der Fastenperi­ode integriert.

Am Abend vor Aschermitt­woch wird die große Parade „Apotheose des Karnevals“in Santa Cruz entlang der Avenida Maritima und über die Plaza de España zelebriert. Die „Gala de Elección de la Reina del Carnaval“mit der frisch gewählten Karnevalsk­önigin und ihren unterlegen­en Mitbewerbe­rinnen zieht auf pompös glitzernd geschmückt­en Wagen an der begeistert applaudier­enden Menge vorbei. Bis zu 250.000 Menschen sind in der Nacht auf den Beinen. Die Kostüme der Königin und ihrer Prinzessin­nen, die viel Platz für nackte Haut übrig lassen, wiegen bis zu 100 Kilogramm. Das ist keine leichte Aufgabe für die zarten Schönheite­n, die den ganzen Zug über lächeln, grüßen und den Zuschauern zu- winken. Dazwischen feurige Marching Bands mit Salsa-, Merengue- und anderen Latinorhyt­hmen oder populären spanischen Popsongs.

Eine 100-köpfige Tanz- und Musiktrupp­e, in Fantasie-postunifor­men gekleidet, bringt die Zuschauer auf dem Gehweg zum Toben. Jetzt drängt sich ein Disco-wagen durch die Gasse von wogenden Menschenle­ibern. Latino-hits, Trillerpfe­ifen, wilder Tanz. Publikumss­cheu ist keiner. Wird eine Kamera gezückt, drängen sich von allen Seiten Maskierte und Verkleidet­e ins Bild. Der nächste Aufzug ist noch schriller. Eine Karnevalsg­ruppe von Männern und Frauen, alle mit Netzstrümp­fen und giftgrünem Body, die Haare in Regenbogen­farben getönt. Ein gewaltiges Spektakel. Nachts um drei drehen einige erschöpft bei und sehnen ihr Bett herbei. Doch andere scheinen gerade erst von zu Hause aufgebroch­en zu sein und streben voller Tatendrang und guter Laune zum Plaza España.

Am Aschermitt­woch ist auch in Santa Cruz alles vorbei. Doch nicht einfach so, denn am darauffolg­enden Donnerstag wird unter makabrem Gepränge das Fest „El Entierro de la Sardina“, die Beerdigung der Sardine, als grotesker Totentanz begangen. Über die Hintergrün­de dieses seltsamen Brauches gibt es viele unterschie­dliche Deutungen.

Ein überdimens­ionaler Fisch aus Pappmaché, gefolgt von einem Zug als Drag Queens gekleidete­r Männer und von Klageweibe­rn, wird unter lautem Geheule und Stoßgebete­n durch die Straßen getragen und schließlic­h öffentlich verbrannt. Der Karneval von Santa Cruz de Tenerife ist mit einem letzten, wie ein Strohfeuer wild aufflacker­nden Fest beendet.

 ?? FOTOS (2): AXEL PINCK ?? Das Kostüm der Karnevalsk­önigin auf Teneriffa wiegt bis zu 100 Kilogramm. Rund 250.000 Menschen sind auf den Beinen, wenn die große Parade am Abend vor Aschermitt­woch durch Santa Cruz zieht.
FOTOS (2): AXEL PINCK Das Kostüm der Karnevalsk­önigin auf Teneriffa wiegt bis zu 100 Kilogramm. Rund 250.000 Menschen sind auf den Beinen, wenn die große Parade am Abend vor Aschermitt­woch durch Santa Cruz zieht.
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Eine der vielen Tanz- und Musikgrupp­en in ihren Fantasie-postunifor­men bringt die Zuschauer zum Toben.

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