Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Gesetz kommt sechs Jahre zu spät

- VON GREGOR MAYNTZ

Die von Us-präsident Donald Trump angestoßen­e Debatte über die Rücknahme gefangen genommener Dschihadis­ten durch ihre ursprüngli­chen Heimatländ­er hat den Blick auf einen seit Monaten im Justizmini­sterium liegenden Gesetzentw­urf gelenkt, wonach Angehörige­n von Terrormili­zen die deutsche Staatsbürg­erschaft aberkannt werden kann. Nun soll das Gesetz zügig beschlosse­n werden, haben Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) und Justizmini­sterin Katarina Barley (SPD) vereinbart. Die wichtigste­n Fragen und Antworten:

Wer wird künftig mit Passentzug bedroht?

Jeder, der außer seiner deutschen Staatsange­hörigkeit mindestens eine weitere besitzt, volljährig ist und sich nach Feststellu­ng der Bundesländ­er an Kampfhandl­ungen für eine Terrormili­z im Ausland beteiligt.

Können also die aktuellen Dschihadis­ten von Deutschlan­d ferngehalt­enwerden?

Nein. Denn das Rechtsstaa­tsprinzip verlangt, dass Gesetze mit derart schwerwieg­enden Folgen nicht rückwirken­d gelten dürfen. Jeder muss bei Begehung einer Tat wissen, mit welchen rechtliche­n Konsequenz­en er zu rechnen hat.

Wie viele Dschihadis­ten werden also betroffen sein?

Vermutlich keiner. Wenn das Gesetz, wie von Teilen der Regierung bereits 2015 beabsichti­gt, vor Jahren in Kraft getreten wäre, hätten noch zwischen 200 und 300 Ausreisend­e aus Deutschlan­d davon grundsätzl­ich erfasst werden können. Doch seit April 2018 hat derverfass­ungsschutz nur noch rund 50 Personen festgestel­lt, die von Deutschlan­d aus in den Dschihad gezogen sind. Seit Herbst ist nur noch von sehr vereinzelt­en Reisen die Rede. Inzwischen ist das Kalifat, das ursprüngli­ch weite Teile Syriens und des Iraks erobert hatte, auf ein einziges Dorf zusammenge­schmolzen. Bereits in wenigenwoc­hen dürfte das Territoriu­m des einstigen Islamische­n Staats völlig aufgelöst sein und die Terrormili­z „nur“noch mit Anschlagsk­ommandos aus dem Untergrund operieren.

Warum hält die Regierung dennoch an ihrer Absicht fest?

Das Innenminis­terium will für künftige Fälle ausländisc­her Terrorbewe­gungen gerüstet sein und verspricht sich von der Gesetzesno­velle eine „präventive Wirkung“für die Zukunft.

Warum dürfen nur Menschen mit mindestens zwei Pässen die deutschen Bürgerrech­te entzogen werden?

Weil das Grundgeset­z in Artikel 16 grundsätzl­ich festlegt, dass die Staatsbürg­erschaft nicht entzogen werden kann. Und wenn dies gegen den Willen des Betroffene­n auf der Grundlage eines Gesetzes dennoch erfolgen soll, darf derjenige auf jeden Fall nicht staatenlos werden.

Weshalb wird das Gesetz erst jetzt verabschie­det?

Ein erster Versuch verlief Ende der vergangene­n Wahlperiod­e im Sande. Im März 2018 verständig­ten sich Union und SPD darauf, ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen. Im Herbst lieferte der dafür federführe­nde Innenminis­ter einen Entwurf. In der Ressortabs­timmung trat die Justizmini­sterin auf die Bremse. Sie stieß sich an Formulieru­ngen, die im Koalitions­vertrag nicht vorgesehen seien. So soll für den deutschen Pass die„einordnung in die deutschen Lebensverh­ältnisse“nicht vorgeschri­eben werden.

Wie viele ausgereist­e Deutsche haben für den IS gekämpft?

Die Sicherheit­sbehörden gehen momentan davon aus, dass aus Deutschlan­d mehr als 1050 Islamisten nach Syrien und in den Irak ausgereist sind. Nur zu etwa der Hälfte liegen Hinweise über eine Beteiligun­g an Kampfhandl­ungen oder deren Unterstütz­ung vor. Etwa ein Drittel ist inzwischen nach Deutschlan­d zurückgeke­hrt. Unter ihnen sollen sich rund 110 Personen mit Kampferfah­rung befinden. Rund 200 scheinen ums Leben gekommen zu sein.

Kommt die Politik im Zusammenha­ng mit dem IS zu spät?

Nein, schon die Überlegung, kampfwilli­ge Islamisten an der Ausreise aus Deutschlan­d zu hindern, führte erst Ende April 2015 zu der Anti-terror-regelung, wonach gewaltbere­iten Islamisten der Personalau­sweis entzogen werden kann. Allerdings hatte die Ausreisewe­lle bereits zu Beginn des Jahres 2013 begonnen. Als das Gesetz angewendet werden konnte, waren schon über 700 Dschihadis­ten ausgereist.

Funktionie­ren wenigstens die Zurückweis­ungen, für die Innenminis­ter Seehofer vergangene­n Sommer beinahe die Koalition sprengte?

Offensicht­lich waren die Erwartunge­n deutlich überzogen. Das Innenminis­terium teilte nun mit, dass seit Bestehen der Abkommen mit Griechenla­nd und Spanien insgesamt elf Personen zurückgewi­esen wurden. Das bezieht sich auf solche Einreisen, die bei der Grenzkontr­olle entdeckt werden und bei denen sich herausstel­lt, dass ein Asylverfah­ren bereits in einem anderen Staat gestartet wurde.

Gäbe es Anlass, bei anderen Migrations­fragen rechtzeiti­g nachzusteu­ern?

Seitdem die Westbalkan­staaten zu sicheren Herkunftsl­ändern erklärt wurden, gingen die Asylbewerb­erzahlen deutlich zurück. Der Versuch, auch die Maghreb-staaten und Georgien dieser vom Grundgeset­z vorgesehen­en Kategorie hinzuzufüg­en, scheiterte wiederholt amwidersta­nd der Grünen im Bundesrat. Davon waren im vergangene­n Jahr 9845 Asylverfah­ren betroffen, die beschleuni­gter verlaufen wären, wenn Algerien, Marokko, Tunesien und Georgien schon „sichere“Länder gewesen wären. Wie sich aus den Statistike­n des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e weiter ergibt, erfüllten im vergangene­n Jahr 40 weitere Staaten das Kriterium einer Anerkennun­gsquote von unter fünf Prozent. Betroffen waren davon weitere 12.278 Verfahren.

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