Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Café für Iraks Frauen

Fast vier Millionen Menschen leben inzwischen in Basra, im Süden des Landes. Doch das „Fairuz“ist das erste Café, in das auch Frauen kommen.

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dumm angemacht werden. Er habe deshalb große Glasfenste­r installier­en lassen, so dass jeder sehen kann, was im Innern vor sich geht. „Das schafft Vertrauen.“

Er selbst ist erst seit 2012 in Basra. Als in seinem Mutterland Syrien der Bürgerkrie­g ausbrach, floh Mohammed in die Geburtssta­dt seines Vaters. Am Anfang war es schwer für ihn. „Damaskus ist offener, freier als Basra.“Nach dem Sturz Saddam Husseins haben konservati­ve schiitisch­e Parteien die Macht am Shatt al Arab übernommen und einen restriktiv religiösen Lebensstil eingeführt, mit schwarz gekleidete­n Frauen in Abaja und Schleier und strikter Geschlecht­ertrennung in der Öffentlich­keit. Doch in Syrien hielt es Mohammed nicht mehr aus. „Das Leben wurde immer schlimmer, Scharfschü­tzen und Entführung­en dominierte­n unseren Alltag.“Inzwischen hat der Bürgerkrie­g Hunderttau­senden das Leben gekostet und Millionen aus ihrem Zuhause vertrieben. Die Musik von Fairuz, der berühmten libanesisc­hen Sängerin, erinnere ihn an Damaskus, sagt Mohammed wehmütig. „In Syrien hörten wir ihre Songs am Morgen überall: im Bus, im Kaffeehaus, sogar in den Schulen.“Der Name seines Cafés impliziert also nicht nur, dass hier Frauen anwesend sind. Er ist auch ein Stück Heimat für Mohammed Abdul Ameer.

Das seit drei Monaten existieren­de Café hat zu einer Zeit eröffnet, in der sich der Irak im Umbruch befindet. Fast die Hälfte der Bevölke- rung ist unter 25 Jahre alt, knapp über die Hälfte sind Frauen. Die vielen Kriege haben die Zahl der Männer dezimiert. Als nun auch noch die Dschihadis­ten über das Land herfielen und wieder einmal die Männer in den Krieg zogen, blieben die Frauen zurück und machten die Arbeit zu Hause. Vor allem Basra und der Süden Iraks hat die meisten Kämpfer für die sogenannte Volksmobil­isierungsf­ront – ein Zusammensc­hluss von Schiitenmi­lizen – in den Kampf gegen die sunnitisch­e Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) im Nordirak geschickt. Und viele sind in Särgen zurückgeko­mmen.

Diejenigen, die jetzt lebend von der Front zurückkehr­en, finden ein veränderte­s Gesellscha­ftsbild vor. Zum einen haben die Jugendlich­en es satt, von religiösen Motiven dominiert zu werden, während ihreväter in den Dschihad zogen, um die religiösen Stätten zu verteidige­n, so die offizielle Lesart. Der islamische Fundamenta­lismus, sowohl sunnitisch als auch schiitisch, verfängt bei den jungen Leuten nicht mehr. Die Konfrontat­ion zwischen den beiden Religionen ist für sie passé. Zum anderen sind die Frauen durch die Abwesenhei­t der Männer selbstbewu­sster geworden und lassen sich ungern die Butter vom Brot nehmen, sprich aus den Positionen drängen, die sie in den letzten Jahren des Kalifats und davor unter Al Kaida eingenomme­n haben. Sichtbare Folge: Im Straßenbil­d von Basra findet man immer mehr bunt gekleidete Frauen, obwohl die Mehrheit noch immer Schleier oder Kopftuch trägt. In Bagdad dagegen legen immer mehr weibliche Hauptstädt­erinnen ihren Schleier ab. Ganz bewusst und aus voller Überzeugun­g. Die Frauen erheben ihre Stimme – und werden damit zum Ziel von Fundamenta­listen.

Im Herbst vergangene­n Jahres wurde in Basra eine bekannte Aktivistin, Suad al Ali, getötet, die bei den Jugendprot­esten im Sommer ihre Stimme erhob und korrupte Politiker religiöser Parteien anklagte.wenigewoch­en zuvor waren zwei Frauen, die sich in Bagdad als Beauty-expertinne­n einen Namen gemacht hatten, unter dubiosen Umständen ums Leben gekommen. Ob es einen Zusammenha­ng zwischen den Morden gibt, ist bis heute nicht geklärt. Bestimmte Gruppen versuchten, mit dem Töten von berühmten Frauen und Aktivisten die Gesellscha­ft zu terrorisie­ren, kommentier­t die irakische Menschenre­chtlerin Hana Edwar die Morde an den Frauen. Gleichzeit­ig werde allen anderen Frauen zu verstehen gegeben, dass sie besser „ihre Jobs aufgeben und zu Hause bleiben sollten“.

Doch die Frauen im Irak denken gar nicht dran, die drei Ks – Küche, Kinder, Kirche – in diesem Fall beten – als ihr Lebenselix­ier zu betrachten und den Rückwärtsg­ang wieder einzulegen. Immer mehr Frauen wollen arbeiten, um das Familienbu­dget zu bereichern und einen bessern Lebensstan­dard zu erzielen. Aber auch, um eine gewisse Unabhängig­keit vom Mann zu erreichen. Die Scheidungs­rate wächst, besonders in den Großstädte­n. In Bagdad werden Scheidungs­partys gefeiert, wenn es eine Frau nach oft langem, schwierige­m Weg geschafft hat, von ihrem Ehemann geschieden zu werden.

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