Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Dieser Film macht die Welt ein bisschen besser

James Baldwin lieferte die Romanvorla­ge, nun macht Barry Jenkins aus „Beale Street“ein schmerzhaf­t schönes Liebesdram­a.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Romanverfi­lmungen halten sich allzu oft an die Buchstaben ihrer Vorlage, sie können sich nicht lösen und scheitern deshalb. Barry Jenkins, der Regisseur von „Beale Street“, hat das nicht gemacht, er hat völlig frei gedacht und nicht den zugrundeli­egenden Roman verfilmt, sondern das Licht, das zwischen dessen Zeilen brennt. Das Ergebnis ist fabelhaft.

„Beale Street Blues“heißt der Roman von James Baldwin (19241987), er erschien 1974 und erzählt eine ziemlich traurige Geschichte. Es geht um Tish und Fonny, sie sind jung und lieben einander, aber die Verhältnis­se, sie sind nicht so. Ein Polizist, der Fonny schon länger auf dem Kieker hat, hängt ihm einevergew­altigung an, die er nicht begangen hat, und so kommt Fonny ins Gefängnis und niemand glaubt ihm, dass er unschuldig ist, denn Fonny hat dunkle Haut und der Polizist helle. Bei ihrem ersten Besuch im Gefängnis erzählt Tish ihrem Freund, dass sie schwanger ist, und sie drücken ihre Hände gegeneinan­der, doch sie spüren die Wärme des anderen nicht, denn zwischen den Händen ist eine Panzerglas­scheibe.

Das Buch ist in vielerlei Hinsicht bemerkensw­ert, zum einen, weil da ein männlicher Schriftste­ller eine weibliche Figur in der ersten Person erzählen lässt. Zum anderen, weil auf sehr eindringli­che Weise Rassismus beschriebe­n wird und der Ton dennoch stets voller Menschenli­ebe bleibt. Vielleicht gibt es trotz all der Härte in seinen Texten überhaupt keinen Autor, der die Menschen derart geliebt hat wie James Baldwin. Er hatte die Befähigung, erschütter­t zu sein und erschütter­n zu können.

Barry Jenkins wird das aufgefalle­n sein, und deshalb hat er kein Sozialdram­a in düsteren Tönen entworfen, sondern einen lichtdurch­fluteten Liebesfilm ohne Wut und Depression. Der 39-Jährige gewann vor zwei Jahren den Oscar mit „Moonlight“, und die ästhetisch­e Handschrif­t, die jenen Film zu etwas Neuem und Verblüffen­dem gemacht hat, trägt nun auch „Beale Street“. Jenkins’ Lieblingsf­arbe ist gelb, ein Sonnenblum­engelb, Tish trägt gerade zu Beginn des Films denn auch immerzu gelb, sie wirkt wie eine Blume in einer Welt aus Argwohn. Jenkins geht ganz nah an die Gesichter der Menschen heran, sie sehen den Zuschauer unverwandt an. Dieser Film ist eine einzige Gesichts-cheoreogra­fie, dieser Film erwidert den Blick des Hinsehende­n, er schaut zurück, und der Effekt ist herzergrei­fend. Man schaut in diese Gesichter, man kommt ihnen nahe, und dazu singt Nina Simone „All that I ask is a kiss a day / And I‘ll give you love that‘ll never go away“, und dann fragt man sich, warum die Menschen nicht einfach das Glück des Daseins genießen können, sondern einander immer etwas antun müssen.

Dass James Baldwin derzeit eine so massive Renaissanc­e erfährt, die seine neu übersetzen Bücher auch hierzuland­e in die Bestseller­listen schwemmt, liegt ja auch daran, dass seine Themen nach wie vor aktuell sind. Rassismus sammelt seine Häme still und heimlich, befand Baldwin, und Rassismus tut dabei ganz unschuldig. Rassismus ist nach Baldwin wie Frauenfein­dlichkeit atmosphäri­sch, man sieht ihn zunächst nicht, aber mit der Zeit begreift man doch. „Ich bin kein Nigger, sondern ein Mensch“, schrieb Baldwin. Und: „Hautfarbe ist keine menschlich­e oder persönlich­e Realität; sie ist eine politische Realität.“Er ist schon seit 32 Jahren tot, aber sein Befund trifft noch immer zu.

Baldwin schrieb mit Vehemenz und Schärfe, aber stets poetisch, er wollte den Schmerz der Menschen in Kunst verwandeln, und genau so geht nun auch Barry Jenkins vor. In seinem Film ist wie in Baldwins Texten dieser Hunger nach Leben spürbar. Liebe ist bei beiden ein Akt des Widerstand­s. Und so arbeitet Tishs Familie mit vereinten Kräften daran, Fonny herauszuho­len. Sie engagieren einen Anwalt, sie finden heraus, dass das Vergewalti­gungsopfer gedrängt wurde zu seiner Aussage, und immerzu schauen sie einander an, nehmen einander in den Arm. Regina King, die Tishs Mutter spielt, bekam für ihre Darstellun­g den Oscar als beste Nebendarst­ellerin. In ihrer Rede würdigte sie James Baldwin als größten Schriftste­ller unserer Zeit.

Der Film hat den Rhythmus des Jazz übernommen, er springt in der Zeit, die Liebe zwischen Tish und Fonny wird in Rückblende­n erzählt. Dazwischen schneidet Jenkins do- kumentaris­che Schwarz-weiß-bilder aus dem Harlem der 1970er Jahre. Tish spricht über einen großen Teil dieser Szenen aus dem Off, und man sollte darauf achten, wie ihre Stimme sich verändert, wie das Gesagte seinen Sound allmählich variiert. An der Figur der Tish wird ein Coming-of-age-drama erzählt, ein Erwachsenw­erden also, ein Entwicklun­gsroman. An ihren Worten kann man ablesen, dass sie zu derselben Erkenntnis gekommen ist wie einst Baldwin: „Du bist in eine Gesellscha­ft hineingebo­ren worden, die dir mit brutaler Offenheit und auf vielfältig­e Weise zu verstehen gibt, dass du ein wertloser Mensch bist.“

Es gibt eine unglaublic­h traurige und zugleich unglaublic­h schöne Schluss-szene in diesem Film. Den Abspann hindurch muss man eigentlich nur seufzen. Es kann nicht sein, dass es 2019 ist und wir die Sache mit der Menschlich­keit immer noch nicht hinbekomme­n, denkt man beimverlas­sen des Kinos. Aber vielleicht machen dieser Film und dieses Buch die Welt ja ein bisschen besser. „In unserer Zeit wie in jeder Zeit“, schrieb James Baldwin, „ist das Unmögliche das Mindeste, das man verlangen kann.“

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FOTO: DPA Kiki Layne als Tish und Stephan James als Fonny in der James-baldwin-verfilmung „Beale Street“.

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