Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Institutio­n wird 90: der Dichter Günter Kunert

- VON WELF GROMBACHER

KAISBORSTE­L Auf die Frage, woher er seine Inspiratio­n nehme, antwortete Günter Kunert einmal:„keine faulen Äpfel“. Er spielte damit auf Schiller an, der mit den Ausdünstun­gen modernder Äpfel den Schlaf zu vertreiben suchte, um die Nacht durch zu schreiben. Schiller starb mit 45 Jahren an einem Lungenleid­en. Günter Kunert feiert am 6. März seinen 90. Geburtstag.

Im Osten war er eine Institutio­n. Er gehörte zu den am meisten gelesenen Schriftste­llern. Auch im Westen hatte er sein Publikum. Sein Herausgebe­r Hubert Witt nannte ihn deswegen einen „gesamtdeut­schen Dichter“. In seinen frühen Jahren versuchte er in der DDR als überzeugte­r Kommunist, die engen Grenzen des Denkens, Sagens und Schreibens zu erweitern, bis er am real existieren­den Kommunismu­s scheiterte und 1979 einen Ausreisean­trag stellte.

Ein Leben lang schreibt er Gedichte, Essays und Kurzgeschi­chten. 1950 erscheint sein erster Lyrikband „Wegschilde­r und Mauerinsch­riften“. 1979 verlässt er die DDR. Seine Musen nimmt er mit ins Exil. Mit sieben Katzen und Ehefrau Marianne reist er aus, nachdem er aus der SED ausgeschlo­ssen worden war, weil er als einer der ersten die Petition gegen die Ausbürgeru­ng von Wolf Biermann unterzeich­net hatte.

Nach der Wende ist er von 2005 bis 2018 Vorstandsp­räsident des P.e.n.-zentrums deutschspr­achiger Autoren im Ausland. Mehr als 30 Lyrikbände hat Günter Kunert herausgebr­acht. In seinen Gedichten geht es um Mythologie, um Natur, die Liebe und das Reisen. Obwohl er sich im Alter immer mehr zum Pessimiste­n entwickelt, die Umweltvers­chmutzung und den fortschrei­tenden Kulturverl­ust kritisiert, hat die „Kassandra aus Kaisborste­l“, wie er sich selbst nannte, den Humor nie verloren. Die Überraschu­ng war groß als bekannt wurde, dass rechtzeiti­g zum 90. Geburtstag ein unbekannte­r Roman erscheinen wird. In einer Truhe hat Kunert das Manuskript entdeckt. „Die zweite Frau“ist ein bezaubernd­er Roman, voller Fabulierlu­st, mit dem sich Kunert das schönste Geschenk zum Geburtstag selbst beschert. Info Günter Kunert: Die Zweite Frau. Wallstein Verlag, 200 Seiten, 20 Euro

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