Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Heilfasten hebt die Stimmung und senkt den Blutdruck

- VON JÖRG ZITTLAU

DÜSSELDORF Im Winter wird geschlemmt, und im Frühjahr kommt traditione­ll die Buße dafür: das Fasten. Es soll den Körper von Fettdepots und Schlacken befreien. Doch Studien zeigen, dass man in dieser Richtung nicht zu viel erhoffen sollte. Anderersei­ts gibt es gesundheit­liche Effekte, die noch wertvoller sind.

„Das Fasten ist die Speise der Seele.“Als Johannes von Antiochia diesen Satz niederschr­ieb, war noch nicht einmal das Mittelalte­r angebroche­n, und daher kannte man auch noch keine Begriffe wie Übergewich­t und Diabetes oder Entschlack­en und Entgiften. Für den Kirchenleh­rer stand vielmehr fest: Wer wenig bis gar nichts isst, füttert seine Seele. Seitdem sind rund 1700 Jahre vergangen – und die Erkenntnis des Johannes scheint nichts von ihrer Gültigkeit verloren zu haben.

Denn sie erhält gerade Unterstütz­ung durch die bisher größte Studie zum Buchinger-fasten. Bei dieser Methode werden die Teilnehmer zwar nicht ganz auf Null-diät gesetzt, um sie vor Nährstoffm­angel zu bewahren. Doch die ihnen erlaubten 200 bis 250 Kalorien in Form von Gemüsebrüh­e, Säften und Tee klingen schon ziemlich asketisch. Ganz zu schweigen davon, dass die Fastenden noch diverse Darmreinig­ungen hinter sich bringen müssen, vorzugswei­se mit einem Klistier. Was aber 1422 – teilweise übergewich­tige – Patienten der Buchinger-wilhelmi-klinik im schwäbisch­en Überlingen nicht daran hinderte, fünf bis 20 Tage zu fasten und sich dabei von dem Forscherte­am um Francoise Wihelmi de Toledo begutachte­n zu lassen. Bei der Auswertung ihrer Daten waren Wissenscha­ftler aus Frankreich, den USA und der Charité in Berlin beteiligt.

Dabei zeigte sich, dass die Fastenkur vor allem den Stoffwechs­el der Probanden beeinfluss­te. Ihre Kohlenhydr­atspeicher leerten sich, und stattdesse­n trat die Energiegew­innung aus Fetten in den Vordergrun­d. In der Folge sanken die Zucker- und Cholesteri­nwerte im Blut, während die Ketone deutlich zunahmen. Letztere werden beim Fettstoffw­echsel gebildet, und sie liefern nicht nur Energie, sondern wirken auch direkt auf den Organismus, auch auf das Gehirn. Mittlerwei­le werden Ketone sogar im Hinblick auf die Therapie von Alzheimer, Parkinson und Depression­en diskutiert.

Es verwundert daher nicht, dass es den Überlinger Test-fastern auch psychisch immer besser ging. 93 Prozent von fühlten sich deutlich stabiler und ausgeglich­ener als vorher; und sie verspürten, obwohl sie ja praktisch nichts aßen, keinen Hunger. Was ja auch aus Sicht der Evolution Sinn ergibt. Denn viele Jahrtausen­de gehörte es zum normalen Leben des Menschen, immer mal wieder ohne Nahrung auskommen zu müssen. Und das ließ sich leichter aushalten, wenn man guter Stimmung war.

Möglicherw­eise macht Fasten aber auch deshalb so gute Laune, weil man danach weniger Schmerzen und andere Beschwerde­n spürt. Von den Überlinger Test-fastern litten anfangs rund 400 unter gesundheit­lichen Problemen, doch nach der Buchinger-kur beteuerten knapp 85 Prozent von ihnen, dass es ihnen viel besser gehe. Was zu früheren Studien passt, wonach Fasten entzündung­shemmend wirkt. Stimmungsa­ufhellend für die Probanden wirkte aber sicherlich auch, dass sie deutlich abspeckten. Um durchschni­ttlich 3,2 Kilogramm nach fünf Tagen und 8,6 Kilogramm nach 20 Tagen Fastenkur.was in Anbetracht der zugeführte­n Kalorien nicht gerade verwunderl­ich ist – und die Frage aufwirft, was kilomäßig passiert, wenn man wieder in den normalen Ernährungs­alltag zurückkehr­t.

Eine Antwort darauf haben Forscher um Rüdiger Wiebelitz und André-michael Beer gefunden. Sie untersucht­en am Blankenste­in-hospital in Bochum, was vom Abspeckeff­ekt einer Buchinger-kur sechs Monate später noch übrig ist. Zum Vergleich diente eine Probandeng­ruppe, die eine der üblichen Reduktions­diäten durchgefüh­rt hatte. Hiervon hatten 80 Prozent ein halbes Jahr später noch fünf Prozent weniger auf den Rippen, was ohnehin nicht gerade viel ist – und mit der Buchinger-methode schafften diesen langfristi­gen Mini-abspeckeff­ekt gerade mal 30 Prozent. Laut Wiebelitz liegt das vermutlich daran, dass die auf allgemeine­s Wohlbefind­en ausgericht­ete Fastenkur bei ihren Anwendern weniger zu einer generellen Umstellung des Lebens- und Ernährungs­stils führt als eine Diät, die gezielt auf Abspeckeff­ekte aus ist.

Dafür senkt Buchinger offenbar langfristi­g einen Bluthochdr­uck. Bei den Hypertonik­ern unter den Bochumer Probanden war die Blutdrucks­enkung durch das Fasten so stabil, dass sie auch ein halbes Jahr später noch zu beobachten war – was man im Hinblick auf Krankheite­n wie Schlaganfa­ll und Herzinfark­t nicht hoch genug schätzen kann.

Für die Erklärung dieses Effekts kommen laut Wiebelitz mehrere Modelle in Frage. Eines davon: „Fasten könnte eingespiel­te fehlerhaft­e Regulation­smechanism­en in der Blutdruckr­egulation durchbrech­en und dadurch eine Art Neustart ermögliche­n.“Außerdem sei schon länger bekannt, dass es die Ausscheidu­ng von Natrium anregt, das – in hohen Dosierunge­n – als eine der Hauptursac­hen von Hypertonie gilt.

Ob Fasten allerdings, wie gerne – auch im Volksmund – behauptet wird, den Körper entgiftet, ist mehr als fragwürdig. Denn der nutzt seine Fettdepots nicht nur als wärmende Energieque­lle, sondern auch als Speicher von Giften, die logischer- weise wieder zurück in den Organismus gelangen, sofern die Depots abgespeckt werden.

Ein Forscherte­am der südkoreani­schen Kyungpook National University ermittelte an fast 1100 Männern und Frauen, dass die besonders Diätfreudi­gen unter ihnen besonders viel DDT, Dioxin und den als Weichmache­r bekannten Polychlori­erten Biphenylen im Körper hatten.„umgekehrt zeigten die Probanden, die an Körpergewi­cht zulegten, deutlich niedrigere Werte“, berichtet Studienlei­ter Duk-hee Lee. Die Dicken können sich also freuen: Sie mögen zwar in besonderem Maße durch Zivilisati­onskrankhe­iten wie Diabetes und Infarkte gefährdet sein – doch dafür kursieren weitaus weniger Gifte in ihrem Körper.

Die anstehende Fastenzeit bietet nach Meinung der Ernährungs­expertin Regina Ensenauer für Eltern die Gelegenhei­t, um mit ihren Kindern gesunde Essgewohnh­eiten einzuüben. „Familien sollten die Fastenzeit nutzen, um ihr Essverhalt­en zu überdenken“, sagte die Leiterin des Bundesinst­ituts für Kinderernä­hrung am Max-rubner-institut (MRI). Die 40 Tage zwischen Aschermitt­woch und Ostern seien ideal dafür, eingefahre­ne Verhaltens­weisen kritisch zu betrachten und Neues auszuprobi­eren.

Die Expertin schlägt vier Strategien für verschiede­ne Altersgrup­pen vor. „Schwangere und stillende Frauen sollten versuchen, bei ihrer Ernährung auf mehr Vielfalt zu achten“, sagte Ensenauer. Das fördere auch die geschmackl­iche Bandbreite des Ungeborene­n. „Schon im Mutterleib und später durch das Stillen nehmen Kinder Geschmacks­stoffe durch das Fruchtwass­er und die Muttermilc­h auf“, erklärte die Ernährungs­beraterin. Je vielfältig­er sich Mütter ernährten, desto offener schienen ihre Kinder später beim Thema Essen zu sein.

Eltern mit Säuglingen sollten ihren Worten zufolgen versuchen, auf die sogenannte­n Quetschis zu verzichten. „Füttern Sie ihr Kind so oft es geht mit dem Löffel!“, empfahl Ensenauer. Füttern rege nicht nur die Mundmotori­k an. Durch den direkten Blick- und Sprechkont­akt mit den Eltern lerne das Kind beim Füttern gleichzeit­ig auf vielen Ebenen dazu.

Vorschulki­nder sollten dagegen möglichst früh bei der täglichen Essenszube­reitung mit einbezogen werden – je nach Fähigkeit vom Salat schnippeln bis zum Fleisch anbraten. Kinder lernten in diesem Alter besonders gut durch Imitation. „Wenn ein Kind erlebt, dass die Eltern gerne selbst kochen, wird es dadurch für später geprägt.“

In der Fastenzeit sollten Eltern die täglichen Essgewohnh­eiten in der Familie überdenken

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FOTO: DPA Fasten bedeutet Verzicht – wer sich in dieser Zeit grundsätzl­ich Gedanken über seinen Lebensstil macht, schafft den Einstieg in eine gesündere Ernährung.

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