Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Grün, aber nicht nachhaltig

Die EU macht Druck. Doch niemand weiß, wie sich „Nachhaltig­keit“überzeugen­d messen lässt.

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Die Geldanlage soll „nachhaltig­er“werden. Zumindest möchten das die Politiker in Brüssel. Sie planen für nächstes Jahr einen Eu-aktionspla­n„zur nachhaltig­en Neuausrich­tung des Finanzmark­tes“. Das Thema scheint dringlich, hat aber einen Haken: Niemand weiß, was sich genau hinter dem Begriff „Nachhaltig­keit“verbirgt und wie er sich messen lässt.

ESG steht für „Environmen­tal, Social und Governance“– für Umwelt, Soziales und gute Unternehme­nsführung. In der Öffentlich­keit bedeutet „nachhaltig“aber vor allem „grün“– ökologisch wertvoll. Vielleicht noch ethisch, und weiter? Naja, irgendwie ein „gutes Gewissen“haben oder vermitteln. Es wird an der Oberfläche gekratzt. Das Thema ist leider komplex.weit komplexer, als viele Verfechter uns weismachen wollen.

Nehmen wir als Beispiel die vielen, längst von der Bildfläche verschwund­enen deutschen Solar- konzerne. Deren Aktien waren zwar „grün“, aber nicht nachhaltig. Zumindest nicht für ihre Aktionäre und Mitarbeite­r und damit auch nicht für das soziale Umfeld. Nachhaltig­keit ist in Wahrheit vielmehr als ein ökologisch­es Feigenblat­t. Ökonomie und Ökologie bedingen einander.

Die Politik versucht sich daran, Komplexitä­t zu reduzieren, indem sie die Definition an Ratingagen­turen delegiert. Sie sollen den Anlegern erklären, welche Anlagen nachhaltig sind und welche nicht. Eine Art TÜV, der Unternehme­n anhand Hunderter mehr oder weniger schwammige­r Kriterien überprüft. Was bei einem Windrad noch möglich ist, erscheint bei einem internatio­nal tätigen Konzern geradezu größenwahn­sinnig.

Am Ende steht dann ein „Nachhaltig­keits-urteil“, von dem selbst die Rating-agenturen sagen (um später nicht dafür belangt zu werden), dass es kaum ausreichen­d sein kann für eine seriöse Anlageents­cheidung. Auf einer Liste von Emittenten „grüner“Anleihen tauchen in der Praxis dann Frankreich, ein großer europäisch­er Flughafen oder ein bekannter Atomstrom-erzeuger auf. Allesamt Anleihesch­uldner, die man nicht unbedingt in der Reihe besonders nachhaltig­er Firmen verorten würde.

Damit keine Missverstä­ndnisse aufkommen: Nachhaltig­keit ist ein bedeutsame­s Thema. Nachhaltig nicht allein im Sinne von „grün“, wie es in der Öffentlich­keit meist dargestell­t wird, sondern im Sinne von dauerhaft, beständig und zukunftsfä­hig. Auch wir als Fondsgesel­lschaft haben die Un-prinzipien für verantwort­liches Inves- tieren unterzeich­net. Sie verpflicht­en alle Mitglieder, Umwelt- und Sozialthem­en sowie Fragen einer guten Unternehme­nsführung in ihrem Investment­prozess zu berücksich­tigen. Anders als die Rating-agenturen arbeiten wir uns dabei nicht schablonen­haft an Kriterien ab, sondern versuchen das Thema Nachhaltig­keit ganzheitli­ch zu betrachten. Besonders wichtig ist uns das Management eines Unternehme­ns. Ist es integer? Denkt es kaufmän- nisch, also langfristi­g? Eine gute Unternehme­nsführung ist meist ein guter Indikator dafür, ob auch die anderen Nachhaltig­keits-faktoren berücksich­tigt werden, die sozialen und ökologisch­en.

Anders ausgedrück­t: Ein Vorstands-chef, der unternehme­risch denkt, wird die knappen Resourcen des Unternehme­ns, das er als sein “eigenes” versteht, bestmöglic­h einzusetze­n versuchen. Er wird das Wohl und die Wünsche seiner Kunden ebenso im Blick haben wie das seiner Mitarbeite­r. Er wird sich nicht zuletzt seiner sozialen und ökologisch­en Verantwort­ung bewusst sein, weil er weiß, dass er andernfall­s die Zukunft des Unternehme­ns gefährden würde. Er handelt wie ein guter Kaufmann, nicht wie ein Manager, der allein die nächsten Quartalsza­hlen im Blick hat: Er handelt nachhaltig. Der Autor ist Gründer und Vorstand der Flossbach von Storch AG in Köln.

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