Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Leben im Schuhkarto­n

In Zeiten steigender Mieten und knappen Wohnraums sucht man nach Lösungen. Eine Möglichkei­t: Leben auf minimaler Fläche.

- VON HANS ONKELBACH

DÜSSELDORF Die Idee stammt eigentlich aus der Hotelwirts­chaft, in den USA wurde sie schon vor den 1980er Jahren umgesetzt – Zimmer mit einer kleinen Kochnische, in der ein Gast, wenn er es denn wollte, kleine Gerichte zubereiten, aufwärmen oder Kaffee kochen konnte. Kochplatte, Spüle, Kühlschran­k, Kaffeemasc­hine, zwei Steckdosen – fertig.

Wer aber für längere Zeit, also für mehr als nur ein paar Tage, eine Unterbring­ung braucht, dem ist die Hotelrechn­ung irgendwann zu hoch, und man sucht nach Alternativ­en. Aus dieser Nachfrage entstand das Mikroapart­ment – ein Zimmer, das Schreibtis­ch, Bett, Küchenecke und – separat – ein Bad mit WC anbot.

Inzwischen ist die Nachfrage nach solchen Unterbring­ungen stark gestiegen, längst fragen nicht mehr nur Business-leute danach, sondern vor allem auch Studenten. Der Grund dafür: Die jungen Leute finden an ihrem Studienort fast keine bezahlbare­nwohnungen oder Wg-plätze mehr, deshalb sind sie dankbar für Zimmer, die sie selbst einrichten können oder die komplett ausgestatt­et angeboten werden. In der Relation zu normal großen Wohnungen sind sie, auf den Quadratmet­er bezogen, zwar deutlich teurer als andere Angebote, aber de facto für junge Leute oder de- ren Eltern bezahlbar. Das Angebot nimmt zu, denn Investoren haben erkannt, dass sie eine gute Rendite erzielen, wenn sie ihre Immobilie mit mehr Einheiten anbieten.

Vor allem junge Leute, gerade aus dem Hotel Mama ausgezogen, empfinden das Mikroapart­ment als perfekte Lösung – weil es sich kaum von dem unterschei­det, was sie bisher schätzten: alles auf engstem Raum, aber doch ausreichen­d. Nur, dass sie sich jetzt um die Füllung des Kühlschran­ks und die Wäsche selbst kümmern müssen.

In Appartemen­ts dieser Art wird die Fläche bis zum Äußersten genutzt. Heraus kommen Raumverhäl­tnisse, die deutlich kleiner sind als das, was der Durchschni­ttsdeutsch­e gegenwärti­g für sich beanspruch­t. Über Jahrzehnte hinweg ist die Wohnfläche pro Kopf stetig gestiegen. Im Schnitt belegte 2014 jeder Bundesbürg­er 46,5 Quadratmet­er, inzwischen sind es noch ein paar mehr. Die Frage ist also nicht mehr, wie viel Platz hätte ich gern, sondern auf wie wenig kann ich – jedenfalls für eine gewisse Zeit – angenehm leben.

Die Antwort ist erstaunlic­h – die Winzlinge sind nicht selten nur um die 20 Quadratmet­er groß, und es ist ausreichen­d. Allerdings wird jeder Quadratzen­timeter durch Schnitt und passende Möbel konsequent genutzt. Daher sind bodentiefe Fenster nicht möglich, sondern es gibt immer Fensterbän­ke – hoch genug angesetzt, dass problemlos Sofa, Bett oder ein anderes Möbel drunter passt. Zudem bieten sie zusätzlich­e Ablagefläc­he. Die passende Einrichtun­g zu finden ist eben- falls kein Problem: Aus der Couch wird abends das Bett, andere Stücke stehen auf Rollen und können leicht verschoben werden.

Billig ist das Ganze allerdings nicht. Je nach Angeboten (Fitness- raum im Haus, Hausmeiste­rservice, Dachterras­se oder ähnliches) liegen die Preise häufig deutlich über 20 Euro pro Quadratmet­er. Bei der Bezeichnun­g sind die Anbieter ebenfalls sehr kreativ. Weil „Mikroapart- ment“falsch verstanden werden könnte, spricht man auch gern vom „Smartment“– das klingt irgendwie flott, modern, smart eben.

„Youniq, Smartments, Headquarte­r, The Flag und wie sie alle heißen, es klingt auf alle Fälle nicht nach kleinen Wohnungen für nicht so reiche Menschen‘“, sagt Ricarda Pätzold vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) in Berlin in einem Gespräch mit der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“. Verkauft – oder besser: vermietet wird halt auch ein Stück Lifestyle, zumal die Mini-butzen oft in angesagten Lagen angesiedel­t sind. Aber nicht nur Studenten sind die Zielgruppe. Die Entwickler bieten ihre Miniwohnun­gen vor allem als Lifestylep­rodukt für moderne Arbeitsnom­aden an. Wissenscha­ftler mit befristete­n Forschungs­aufträgen oder IT-SPEzialist­en, die für mehrere Monate bei einem Unternehme­n einen Auftrag erledigen, sind denkbare Kunden. Dazu kommt noch das Heer der Pendler, das nur unter der Woche am Arbeitsort wohnt. Experten schätzen die potenziell­en Kunden auf eine zweistelli­ge Millionenz­ahl.

Alles auf engstem Raum, aber doch ausreichen­d – das macht den Charme der kleinen Wohnungen aus

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FOTO: ISTOCK So können Winz-wohnungen aussehen – ein Raumwunder, das vor allem für Studenten interessan­t ist.

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