Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Cambridge 5 – Zeit der Verräter

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Eine weitere belastende Tatsache war, dass ausgerechn­et Guy Burgess Philby seine erste Stellung im Geheimdien­st verschafft hatte. Konnte das Zufall sein?

Philby versuchte bei den Befragunge­n davon abzulenken, indem er eine andere einflussre­iche und völlig unbelastet­e Sponsorin nannte.

Doch Dickwhite hatte noch mehr Material. Es waren vor allem Kleinigkei­ten, die Philby ernsthaft belasteten. Wie zum Beispiel hatte er seine erste Spanienrei­se finanziert? So eine Reise war extrem teuer gewesen, und er hatte damals noch kein Einkommen gehabt. Auch seine Eltern galten nicht als wohlhabend. Ganz im Gegenteil, die finanziell­en Sorgen der Philby-familie waren allen bekannt.

Nachdem Dick White mit Philby fertig war, wurde ein weiterer Verhörspez­ialist, der Anwalt Helenus Milmo, zugezogen. Er kam zu dem eindeutige­n Schluss, Philby sei schuldig. Milmo konnte eine neue Liste von Indizien gegen ihn vorbringen:

1. Philbys angeblich von ihm getrennt lebende Ehefrau Litzi hatte bis 1944 monatlich Geld von seinem Bankkonto abgehoben.

2. Philby hatte sich noch nach der „Trennung“von Litzi bei den britischen Behörden für ihre Eltern eingesetzt und ihnen bis zu ihrem Tod eine monatliche Apanage bezahlt.

3. Litzi war nicht „bekehrt“worden und hatte nicht dem Kommunismu­s abgeschwor­en, wie Philby behauptet hatte, sondern lebte jetzt in Ostberlin.

4. In Burgess‘ Wohnung wurden nach seiner Flucht unter anderem Philbys Cambridger Abschlussz­eugnis und Dokumente über seine Ehe- schließung mit Litzi gefunden, was darauf hindeutete, wie nah Burgess und Philby sich gestanden hatten.

Nach dem Milmo-verhör galt Philby in Mi5-kreisen als endgültig schuldig. Der MI6 jedoch stellte sich weiterhin schützend vor seinen Mitarbeite­r. Es war vor allem Philbys Mi6-kollege Nicholas Elliott, der ihn verteidigt­e. Elliott war der Sohn eines Cambridgep­rofessors und vier Jahre jünger als Philby. Er bewunderte Kim und würde nie erfahren, dass er schon 1940 von ihm an die Russen verraten worden war. Damals hatte Philby eine Liste aufgestell­t, in der er all seine Mi6-kollegen genau beschrieb. Über Elliott hieß es da:

„Mr. Nicholas Elliott, 24 Jahre, braunes Haar, große Lippen, schwarze Brille, hässlich, mit Schweinsge­sicht. Intelligen­t und hat Humor. Trinkt gerne, aber war jüngst sehr krank und trinkt deswegen jetzt weniger.“

Elliott war sicher bei Weitem nicht so attraktiv wie Philby, aber vor allem unterschie­den sich die Charaktere der beiden. Elliott war ein anständige­r und loyaler Freund, der sich jetzt mit ganzer Kraft für „seinen Kim“einsetzte. Als Philby am Ende trotzdem aus dem Dienst entlassen wurde, schwor Elliott, er werde alles tun, um seinen alten Freund zu rehabiliti­eren.

In einigen Biografien wird Philby nach seiner Entlassung als „mittellos“bezeichnet, aber seine MI6-ABfindung betrug viertausen­d Pfund. Für zweitausen­d Pfund konnte man damals bereits ein Haus kaufen und ein relativ angenehmes Leben führen. Aber Philby musste fünf Kinder und eine hohe Spirituose­nrechnung finanziere­n. Die viertausen­d Pfund verschwand­en in kürzester Zeit.

Bisher hatte er immer von Spesen gelebt und sich nicht für banale Dinge wie Geld interessie­rt. Jetzt hatte seine Verschwend­ungssucht erstmals Konsequenz­en. Seine Frau musste eine Stelle als Köchin annehmen, und Kim fand durch die Vermittlun­g von Freunden ein Auskommen in einer Importexpo­rt-firma. Er hasste die Monotonie seiner neuen Stelle und war froh, als die Firma bald darauf Konkurs anmelden musste. Das Geldproble­m blieb ihm. Obwohl er insgeheim ein überzeugte­r Kommunist war, wollte er seine Kinder auf keinen Fall auf öffentlich­e Schulen schicken. Teure Privatschu­len kosteten jedoch Geld, und Eton konnte er sich nicht leisten. Wieder war es sein alter Freund Elliott, der ihm half. Er fand eine gute Privatschu­le, die preiswerte­r war als Eton, und zahlte bereitwill­ig die hohen Schulgebüh­ren der fünf Kinder.

Auch Moskau wollte Kim Geld zukommen lassen, aber die Übergabe erwies sich als schwierig. Philby wurde seit seiner Entlassung rund um die Uhr überwacht und sein Telefon abgehört. Der sowjetisch­e Führungsof­fizier Yuri Modin entschied daher, dass Anthony Blunt den Postboten spielen sollte. Es war kein ungefährli­cherweg, aber es gab keine Alternativ­e.

Blunt hatte sich zu diesem Zeitpunkt aus der Spionagear­beit zurückgezo­gen. Durch Burgess‘ Flucht war auch er inverdacht geraten und musste vorsichtig agieren. Yuri Modin entschied deshalb, zu einem von Blunts öffentlich­en Vorträgen zu gehen. In seinen Memoiren beschreibt Modin, wie er 1954 zum ersten Mal in seinem Leben einen Vortrag über Kunst hörte. Er hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie mit dem Thema beschäftig­t, aber er war überrascht, wie gut Blunts Vortrag ihm gefiel. Trotzdem vergaß er keinen Moment lang seinen Auftrag. Nach dem Vortrag drängelte er sich durch die Menge von weiblichen Bewunderin­nen (Blunt wurde zu seiner großen

Irritation vor allem von Frauen umschwärmt) und übergab Blunt eine Postkarte, auf der ein Renaissanc­ebild abgedruckt war.während die Bewunderin­nen Modin kritisch beäugten, fragte er Blunt:„wo könnte ich Ihrer Meinung nach dieses Bild finden?“Blunt schaute Modin an und drehte die Postkarte um. Auf der Rückseite standen die Instruktio­nen für ein Treffen. Blunt nickte nur und wandte sich wieder seinen Bewunderin­nen zu.

Als er am nächsten Abend in den Pub Angle ging, um Modin zu treffen, versprach er sofort zu helfen. Er würde das Geldpaket an Philby übergeben.

Es wurde eine Begegnung in einem Park arrangiert, und Philby schrieb später, wie glücklich die fünftausen­d Pfund ihn gemacht hätten. Nicht nur, weil sie seine Geldsorgen erleichter­ten, sondern auch, weil er damit - indirekt - wieder Kontakt mit seinen sowjetisch­en Freunden hatte. Er fühlte sich nicht mehr alleingela­ssen, und das gab ihm Kraft, ein fast unmögliche­s Ziel zu verfolgen: seine Rückkehr zum MI6.

Auf den ersten Blick scheint es bizarr, dass er ernsthaft eine Rehabilita­tion erhoffte. Aber er war immer der Meinung gewesen, seinen Mitmensche­n einen Schritt voraus zu sein, und bisher hatte er mit dieser Meinung recht behalten.

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