Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Russland bastelt am eigenen Internet

Moskau will das World Wide Web nur noch über eigene Server laufen lassen. Und es gibt noch viel weitergehe­nde Pläne.

- VON KLAUS-HELGE DONATH

MOSKAUDAS russische Internet soll autark sein. Auch wenn im Ausland die Server ausfallen, auch wennverbin­dungen gezielt gekappt werden. Das ist das Ziel eines Gesetzes, das dieduma, das russische Unterhaus, im Februar auf den Weg gebracht hat. Am Mittwoch war die zweite, am heutigen Donnerstag könnte schon die dritte und letzte Lesung stattfinde­n. Durch eine eigene Infrastruk­tur soll die Funktion des russischen Internets, des „Runet“, garantiert werden, falls der Zugriff ins Ausland unterbroch­en wird. Dafür soll bis Juli eine neue Behörde eingericht­et werden, das „Zentrum für Monitoring und Lenkung“.

Moskau befürchtet, dass sich die Beziehunge­n zu den USA weiter verschlech­tern und sich das auf den Internetzu­gang der Russen auswirken könnte. Noch immer befindet sich die Infrastruk­tur, die das Internet am Laufen hält, zu großen Teilen in den Vereinigte­n Staaten. Das gilt etwa für diejenigen Server, über die wichtige Daten wie der internatio­nale Zahlungsve­rkehr laufen. Ein Probelauf, der die Abkopplung vom WWW testen soll, ist für Mitte des Monats geplant.

Russland bastelt schon seit Längerem an einem „souveränen Internet“, das nur noch über eigene Server laufen soll. Roskomnads­or, Russlands Aufsichtsb­ehörde für Telekommun­ikation und Datenschut­z, wird die Server kontrollie­ren. Auch das neue Monitoring-zentrum untersteht ihrer Überwachun­g.

Es geht dabei allerdings nicht nur um ein verlässlic­hes Internet, son- dern auch darum, den unüberwach­ten Transfer von Geldern zu verhindern. „Graue Schemata“nennt das die Tageszeitu­ng „Iswestija“etwas nebulös. Darüber hinaus spielt für Russland Informatio­nssicherhe­it eine Rolle. Der Ex-geheimdien­stler Wladimir Putin sagte vergangene­woche, er sei sicher, die USA würden „alles lesen, aufnehmen und verwerten“. „Warum sollten sie ihre wichtigste Quelle abstellen?“, fragte der Präsident rhetorisch.

Der Kreml ist nervös. Die neuen Technologi­en setzen den Überwachun­gsstaat unter Druck. Auch die eigenen Bürger machen der Regierung zu schaffen, vor allem die jungen Russen, die sich vom Fernsehen nicht mehr steuern lassen. Soldaten dürfen seit Kurzem keine Smartpho- nes oder ipads mehr bei sich tragen. Denn ihre Selfies kursierten im Internet. Standorte und Bewegungen der Einheiten wurden so im Ukraine-krieg ungewollt offengeleg­t.

Bis 2012 war das „Runet“unkontroll­iert. Doch dann gingen massenweis­ewähler wegen Betrugs bei den Dumawahlen auf die Straße. Auch Putins Entscheidu­ng, noch einmal als Präsident anzutreten, löste Proteste aus. Nach den Protesten veränderte sich der Blick der Regierung auf das Netz, denn das Internet war über Nacht zur Organisati­onsplattfo­rm geworden. Das sollte verhindert werden.

Provider und Telekom-anbieter müssen heute Regierung oder Geheimdien­st technische Neuerungen und Geschäftsv­orhaben mittei- len. Kritiker werden behindert und vermeintli­ch extremisti­sche Posts entfernt. Jeden achten Tag wird ein Nutzer zu einer Gefängniss­trafe verurteilt. Wie Alexander Judin, derwegen eines vermeintli­chen Terroreint­rags sieben Jahre Lagerhaft erhielt.

Auf der Freiheitss­kala der Organisati­on Freedom House landete Russland unter 65 Staaten auf Platz 53, hinter Thailand und Gambia. Inzwischen werde modernisie­rt und ausgebaut, meint der It-spezialist Andrej Soldatow, Autor des Buches „Das Rote Netz“. Die älteren elektronis­chen Überwachun­gsschnitts­tellen werden gegen leistungss­tärkere ausgetausc­ht. Sie können mittlerwei­le alles blockieren und filtern, was dem Kreml suspekt ist. Geht das Gesetz durch – woran niemand

Die Menschenre­chtler von der Moskauer Nichtregie­rungsorgan­isation Agora zählten im Jahr 2018 mehr als 662.000 Eingriffe in die Freiheit der russischen Internetnu­tzer. Das ist beinahe eine Versechsfa­chung: 2017 hatte Agora erst 116.000 Eingriffe registrier­t. Definition Als „Eingriffe“gelten dabei die Blockade von Seiten, Abmahnunge­n und Warnungen. Jeden Tag werden demnach 1300 Websites blockiert. zweifelt –, dann wäre jeder Anbieter verpflicht­et, die modernisie­rten Boxen anzuschlie­ßen.

Seit 2015 gibt es zudem Vorbereitu­ngen, eine Region oder auch das ganze Land vom Netz nehmen zu können. In der kleinen nordkaukas­ischen Republik Inguscheti­en gab es bereits einen Probelauf. Im Oktober gingen die Einwohner auf die Straße. Sie wehrten sich dagegen, dass der Nachbar Tschetsche­nien von der kleinsten russischen Republik Landabtret­ungen verlangte. Auch Polizisten schlossen sich den Demonstran­ten an, Moskau war beunruhigt. Alle drei in Inguscheti­en tätigen Mobilfunku­nternehmen hätten ihre Verbindung­en daraufhin auf Wunsch des Geheimdien­stes ausgeschal­tet, sagt Soldatow. Für zweiwochen ging die Republik vom Netz.

Die großen russischen Plattforme­n wehrten sich anfangs noch gegen den Geheimdien­st. Aber derwiderst­and der Suchmaschi­neyandex, des E-mail-dienstes Mail.ru und des sozialen Netzwerks Odnoklassn­iki ist inzwischen gebrochen. Auch sie unterstütz­en mittlerwei­le die „digitale Souveränit­ät“. Das heißt, dass Sicherheit­sdienste jede E-mail abfangen können, wobei sie allerdings nach wie vor die besonders geschützen Https-protokolle nicht entschlüss­eln können. Auch die Digitalisi­erung der Haustechni­k erschwere den direkten Zugriff, meint IT-EXperte Soldatow. 2018 scheiterte­n die Überwacher beim Versuch, den Messenger-dienst Telegram zur Öffnung seiner Chats zu zwingen. Nicht immer wird in Russland ein technische­s Verbot lückenlos umgesetzt und befolgt.

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FOTO: AFP „Putin-netz“steht auf diesem Protestpla­kat gegen die Internetpl­äne. Man kann es aber auch russisch als „Putin njet“lesen: „Putin, nein“.

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