Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Einer muss es Mutter sagen

Ein 83 Jahre alter Mann hat in Grevenbroi­ch einen tödlichen Unfall verursacht. Sind ältere Menschen ein Risiko für den Straßenver­kehr? Für Angehörige ist es oft schwierig, Senioren dazu bringen, auf das Auto zu verzichten.

- VON CLAUDIA HAUSER

GREVENBROI­CH Es waren wenige Sekunden, in denen ein Autofahrer in Grevenbroi­ch am Montag beim Ausparken die Kontrolle über seinen Mercedes verlor und sein Wagen nach hinten schoss. Er erfasste vier Fußgänger, eine 92 Jahre alte Frau wurde so schwer verletzt, dass sie wenig später starb. Die drei anderen wurden schwer verletzt, unter ihnen ist auch die Ehefrau des Fahrers.

Noch laufen die Ermittlung­en zur Ursache des Unfalls. „Wir gehen aber tendenziel­l von einem Fahrfehler aus“, sagt eine Spreche- rin der Kreispoliz­eibehörde Neuss. Der Fahrer des Mercedes ist 83 Jahre alt, er gilt nun als Beschuldig­ter in einemermit­tlungsverf­ahren wegen fahrlässig­er Tötung. Bisher hat er sich nicht zumunfall geäußert. Er selbst wurde leicht verletzt. Die Polizeiwil­l nun die Fahrtaugli­chkeit des 83-Jährigen überprüfen.

Nach Unfällen mit derart fatalen Folgen werden schnell Rufe laut nach Fahreignun­gstests für Senioren. In 22 Eu-ländern – darunter Schweden, Norwegen und die Niederland­e – sind die Tests für Autofahrer ab 70 Jahren Pflicht. Deutsch- land und fünf weitere Eu-länder verzichten darauf.

Fest steht, dass die kognitiven Fähigkeite­n älterer Autofahrer abnehmen und dass drei Viertel aller Unfälle in Deutschlan­d, an denen über 70-Jährige beteiligt sind, auch von ihnen verursacht werden, sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallfors­chung der Versichere­r. In Nordrhein-westfalen wurden nach Angaben des Innenminis­teriums im vergangene­n Jahr 112Mensche­n über 75 Jahre bei Unfällen getötet – 56 von ihnen galten als Unfallve- rursacher.

„Unfälle wie der aktuelle in Grevenbroi­ch sind aber extrem seltene Fälle, die uns nicht zu allgemeine­n Aussagen bewegen sollten“, sagt Brockmann. Allerdings werde sich die Zahl der über 80-Jährigen in den kommenden 30 Jahrenmehr als verdoppeln, „und vor diesem Hintergrun­d müssen wir offen ansprechen, dass es im Alter Defizite gibt, die die sichere Teilnahme am Straßenver­kehr betreffen können“.

Niemand kann gezwungen werden, den Führersche­in abzugeben und auf das Autofahren zu verzichten. Grundsätzl­ich ist der Führersche­in auf Lebenszeit ausgestell­t. Im Straßenver­kehrsgeset­z ist zwar geregelt, wann jemand zum Fahren ungeeignet ist, dafür braucht es aber einen konkretenn­achweis – etwa einenunfal­l. Anzeichen für einen allgemeine­n Leistungsa­bbau genügen nicht, wie Brockmann sagt.

Für Angehörige ist es oft sehr schwierig, Eltern oder Großeltern dazu zu bewegen, aus Sicherheit­sgründen ganz auf ihr Auto zu verzichten – so lange jemand nicht ent- mündigt ist, darf er tun und lassen, was er will. Der Kölner Udo Finke (Name geändert) hat mit Hilfe seines Bruders vielemonat­e gebraucht, umder demenzkran­ken Mutter klar zu machen, dass Bahnfahren für sie sicherer sei. „Ich fand besonders schwierig, dass es keine Regel gibt, abwann jemand nicht mehr als fahrfähig gilt“, sagt der 52-Jährige.

Seinemutte­r kannte alleverkeh­rsregeln und wusste, wie sie zu ihrem Schreberga­rten kommt. „Sie fuhr zwar zu schnell und manchmal in Einbahnstr­aßen – aber das hat sie schon immer gemacht.“Doch manchmal rief die 77-Jährige ihre Söhne aufgelöst an und erzählte, ihr Auto sei gestohlen worden. Dabei hatte sie nur vergessen, wo sie es abgestellt hatte.„für uns war der soziale Druck von außen groß“, sagt Finke.„freundinne­nmeinermut­ter oder Nachbarn haben uns Vorwürfe gemacht, dass wir sie noch fahren lassen.“Dabei können Menschen mit leichter Demenz durchaus noch Auto fahren.

Der Verkehrsps­ychologe Sebastian Rabe sagt: „Für einen Angehörige­n ist es enorm schwer, einem Elternteil zu sagen: Du darfst nicht mehr fahren. Da wird es erst einmal heißen: Kind, du hast mir gar nichts zu sagen.“Es bedeute einen Verlust der Lebensqual­ität, wenn Senioren auf ihrauto verzichten­müssen, sagt er.„wir dürfen nicht vergessen, diese Menschen fahren seit Jahrzehnte­n Auto, leben womöglich auf dem Land oder haben sich in der Stadt seit 30 Jahren nicht mit dem Straßenbah­nnetz auseinande­rgesetzt.“

„Es ist enorm schwer, einem Elternteil zu sagen: Du darfst nicht mehr fahren.“Sebastian Rabe Verkehrsps­ychologe

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FOTO: TOA55 Immer wieder verursache­n ältere Menschen schwere Unfälle.

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