Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Einer muss es Mutter sagen
Ein 83 Jahre alter Mann hat in Grevenbroich einen tödlichen Unfall verursacht. Sind ältere Menschen ein Risiko für den Straßenverkehr? Für Angehörige ist es oft schwierig, Senioren dazu bringen, auf das Auto zu verzichten.
GREVENBROICH Es waren wenige Sekunden, in denen ein Autofahrer in Grevenbroich am Montag beim Ausparken die Kontrolle über seinen Mercedes verlor und sein Wagen nach hinten schoss. Er erfasste vier Fußgänger, eine 92 Jahre alte Frau wurde so schwer verletzt, dass sie wenig später starb. Die drei anderen wurden schwer verletzt, unter ihnen ist auch die Ehefrau des Fahrers.
Noch laufen die Ermittlungen zur Ursache des Unfalls. „Wir gehen aber tendenziell von einem Fahrfehler aus“, sagt eine Spreche- rin der Kreispolizeibehörde Neuss. Der Fahrer des Mercedes ist 83 Jahre alt, er gilt nun als Beschuldigter in einemermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung. Bisher hat er sich nicht zumunfall geäußert. Er selbst wurde leicht verletzt. Die Polizeiwill nun die Fahrtauglichkeit des 83-Jährigen überprüfen.
Nach Unfällen mit derart fatalen Folgen werden schnell Rufe laut nach Fahreignungstests für Senioren. In 22 Eu-ländern – darunter Schweden, Norwegen und die Niederlande – sind die Tests für Autofahrer ab 70 Jahren Pflicht. Deutsch- land und fünf weitere Eu-länder verzichten darauf.
Fest steht, dass die kognitiven Fähigkeiten älterer Autofahrer abnehmen und dass drei Viertel aller Unfälle in Deutschland, an denen über 70-Jährige beteiligt sind, auch von ihnen verursacht werden, sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer. In Nordrhein-westfalen wurden nach Angaben des Innenministeriums im vergangenen Jahr 112Menschen über 75 Jahre bei Unfällen getötet – 56 von ihnen galten als Unfallve- rursacher.
„Unfälle wie der aktuelle in Grevenbroich sind aber extrem seltene Fälle, die uns nicht zu allgemeinen Aussagen bewegen sollten“, sagt Brockmann. Allerdings werde sich die Zahl der über 80-Jährigen in den kommenden 30 Jahrenmehr als verdoppeln, „und vor diesem Hintergrund müssen wir offen ansprechen, dass es im Alter Defizite gibt, die die sichere Teilnahme am Straßenverkehr betreffen können“.
Niemand kann gezwungen werden, den Führerschein abzugeben und auf das Autofahren zu verzichten. Grundsätzlich ist der Führerschein auf Lebenszeit ausgestellt. Im Straßenverkehrsgesetz ist zwar geregelt, wann jemand zum Fahren ungeeignet ist, dafür braucht es aber einen konkretennachweis – etwa einenunfall. Anzeichen für einen allgemeinen Leistungsabbau genügen nicht, wie Brockmann sagt.
Für Angehörige ist es oft sehr schwierig, Eltern oder Großeltern dazu zu bewegen, aus Sicherheitsgründen ganz auf ihr Auto zu verzichten – so lange jemand nicht ent- mündigt ist, darf er tun und lassen, was er will. Der Kölner Udo Finke (Name geändert) hat mit Hilfe seines Bruders vielemonate gebraucht, umder demenzkranken Mutter klar zu machen, dass Bahnfahren für sie sicherer sei. „Ich fand besonders schwierig, dass es keine Regel gibt, abwann jemand nicht mehr als fahrfähig gilt“, sagt der 52-Jährige.
Seinemutter kannte alleverkehrsregeln und wusste, wie sie zu ihrem Schrebergarten kommt. „Sie fuhr zwar zu schnell und manchmal in Einbahnstraßen – aber das hat sie schon immer gemacht.“Doch manchmal rief die 77-Jährige ihre Söhne aufgelöst an und erzählte, ihr Auto sei gestohlen worden. Dabei hatte sie nur vergessen, wo sie es abgestellt hatte.„für uns war der soziale Druck von außen groß“, sagt Finke.„freundinnenmeinermutter oder Nachbarn haben uns Vorwürfe gemacht, dass wir sie noch fahren lassen.“Dabei können Menschen mit leichter Demenz durchaus noch Auto fahren.
Der Verkehrspsychologe Sebastian Rabe sagt: „Für einen Angehörigen ist es enorm schwer, einem Elternteil zu sagen: Du darfst nicht mehr fahren. Da wird es erst einmal heißen: Kind, du hast mir gar nichts zu sagen.“Es bedeute einen Verlust der Lebensqualität, wenn Senioren auf ihrauto verzichtenmüssen, sagt er.„wir dürfen nicht vergessen, diese Menschen fahren seit Jahrzehnten Auto, leben womöglich auf dem Land oder haben sich in der Stadt seit 30 Jahren nicht mit dem Straßenbahnnetz auseinandergesetzt.“
„Es ist enorm schwer, einem Elternteil zu sagen: Du darfst nicht mehr fahren.“Sebastian Rabe Verkehrspsychologe