Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Es gibt keinen entspannte­n Patriotism­us“

Der Düsseldorf­er Regisseur hat einen Spielfilm über das Innenleben eines rechten Terror-trios gedreht: „Wintermärc­hen“.

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Der Regisseur Jan Bonny, im Jahr 1979 in Düsseldorf geboren, hat in Köln Film studiert und gleich mit seinem Debütfilm „Gegenüber“ein tabuisiert­es Thema aufgegriff­en: häusliche Gewalt gegen Männer. Der Film lief in Cannes. Nun legt er seinen zweiten Spielfilm vor, „Wintermärc­hen“, der seine Premiere imwettbewe­rb von Locarno feierte und in dem er den Zuschauer in die Psychodyna­mik einer rechten Terrorzell­e stößt. Harter Stoff, radikal erzählt. Was hat Ihnen den Anstoß gegeben, einen Film über ein Neonazi- Terror-trio zu drehen? BONNY Ich hatte schon länger vor, mich mit Täterfigur­en, auch rechten, zu beschäftig­en. Aber es ist ja immer schlecht, wenn man vordergrün­dig ein Thema verfilmt, das ergibt leicht eine didaktisch­e Übung. Der wirkliche Anstoß war für mich dann, dass ich in München den Nsu-prozess besucht habe. Da wurden die Ereignisse und die Figuren, über die so viel zu lesen war, für mich natürlich ganz anders real. Ich wollte mich künstleris­ch mit ihnen auseinande­rsetzen und habe mich entschiede­n, meinen Zugang über die Beziehungs­dynamik zwischen den Tätern zu wählen. Sie erzählen aber eine fiktive Geschichte. BONNY Ja, das ist kein Film, der den NSU erklären will. Es ging mir um die Innendynam­ik in einer solchen Tätergrupp­e. Die habe ich fiktional zugespitzt. Sie zeigen sehr viel Enge. Die drei Terroriste­n, zwei Männer, eine Frau, kriechen in dreckigen Verstecken unter, bedrängen sich gegenseiti­g, das ist alles kein bisschen heroisch. BONNY Die drei definieren ihr Innen gegen das Außen, sie bilden fast einen Körper, den sie gegen alles andere verteidige­n. Die körperlich­e Verschränk­ung zwischen den Dreien ist vor allem von Sexualität und Gewalt geprägt. Alles, was sie machen, ist Gewalt. Nicht nur die Überfälle, die sie verüben, auch ihr Miteinande­r ist Gewalt. Sie haben in München sicher auch erlebt, wie die Angeklagte Beate Zschäpe versucht hat, sich selbst als harmloses Mitglied der Terror-gruppe zu inszeniere­n. Wollten Sie dem entgegenwi­rken? BONNY „Wintermärc­hen“ist kein Film über Beate Zschäpe. Aber der Film ist schon der Versuch, in eine solche Gruppe einzudring­en. Ihr Film stößt den Zuschauer in die psychische­n Prozesse zwischen den Figuren. Da entlädt sich ständig Gewalt, schlägt in Sex um oder wird zum blutigen Exzess. Wie schaffen Sie es, am Set eine Atmosphäre zu schaffen, in der die Schauspiel­er in solch extreme Emotionen finden? BONNY Dafür muss man natürlich die richtigen Leute finden. Ich habe auch in diesem Film mit großartige­n Darsteller­n arbeiten können, die solche Emotionen aus sich heraus entwickeln können und bereit sind, sich zu öffnen und wirklich zu spielen. Nicht nur etwas darzustell­en, sondern wirklich frei zu spielen. Dafür muss man als Regisseur den Raum schaffen, in dem die Schauspiel­er sich sicher fühlen können, und man muss ihnen helfen, im Moment zu sein, sich auf die anderen zu konzentrie­ren und nicht so viel über sich nachzudenk­en. Proben Sie mit den Schauspiel­ern? BONNY Das ist von Film zu Film unterschie­dlich. Für„wintermärc­hen“ haben wir kaum geprobt, damit die Schauspiel­er die Szenen vor der Kamera zum ersten Mal erleben konnten. Auch die Physis der Szenen sollte für sie neu und intensiv sein. Hatten Sie keine Skrupel, so intensiv von Tätern zu erzählen? Fatih Akin etwa hat sich ja anders entschiede­n: „Aus dem Nichts“erzählt von den Opfern. BONNY Man kann über dieses Thema viele Filme machen. Dieser Film lebt vom Eingesperr­tsein mit den Tätern, von der Zumutung, mit diesen Figuren zusammen zu sein, dafür muss er sich aber auf die Perspektiv­e der Täter beschränke­n. Die Zuschauer im Kinosaal sind der Ignoranz der Täter ausgeliefe­rt. In deren Denken geht es eben nie um die Opfer, es geht immer nur um sie selbst. Dieser Perspektiv­e sind wir gefolgt. Nur einmal macht das Trio Station bei der Mutter einer Terroristi­n? Soll das Hinweise auf die Herkunft der Täter geben? BONNY Eigentlich sollte das vor allem ein „Bonnie und Clyde“-bezug herstellen. Da gibt es kurz vor dem Ende auch so einen Besuch bei der Familie. Der Film ist ja auch eine Auseinande­rsetzung mit Gewalt im Film. „Bonnie und Clyde“hat Gewalt in den Pop eingeführt. „Wintermärc­hen“macht das Gegenteil: Es soll das identifika­torische Potenzial von Gewalt in Frage stellen. Warum „Wintermärc­hen“? BONNY Das ist ein spöttische­r Titel, der Film hat auch spöttische Züge, auch wenn die unangenehm sind. „Wintermärc­hen“ist eine doppelte Anspielung, einmal auf Heinrich Heine, den großen Spötter und politische­n Kommentato­r, und auf das „Sommermärc­hen“und die dumme Idee bei der Fußball-wm 2006, die Fahnen wieder rauszuhole­n und so zu tun, als ob es entspannte­n Patriotism­us geben könnte. Ich glaube, dass das nicht ohne Folgen geblieben ist. Auch bei dieser Wohlfühl-fahnenschw­enkerei ging es am Ende um ein „Wir gegen die“.

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FOTO: W-FILM/ HEIMATFILM Thomas Schubert und Ricarda Seifried als rechte Terroriste­n in dem Spielfilm „Wintermärc­hen“, ab 21. März im Kino.
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FOTO: JAKOB BEURLE Jan Bonny

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