Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Eu-gericht erschwert Überstunde­n

Die Richter verpflicht­en Arbeitgebe­r, die gesamte Arbeitszei­t der Beschäftig­ten zu erfassen. Das Urteil stärkt die Arbeitnehm­errechte, könnte aber viele Betriebe vor Probleme stellen.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK

BERLIN/LUXEMBURG Arbeitgebe­r sollen künftig verpflicht­et werden, die gesamte Arbeitszei­t ihrer Beschäftig­ten systematis­ch zu erfassen. Das müssten alle Eu-mitgliedst­aaten durchsetze­n, urteilte am Dienstag der Europäisch­e Gerichtsho­f (EUGH) in Luxemburg. Nur so lasse sich überprüfen, ob zulässige Arbeitszei­ten eingehalte­n würden. Die Richter betonten die Bedeutung des Grundrecht­s jedes Arbeitnehm­ers auf die Begrenzung der Höchstarbe­itszeit, die in der EU bei 48 Stunden pro Woche liegt.

Der EUGH gab damit einer spanischen Gewerkscha­ft recht, die gegen einen Ableger der Deutschen Bank geklagt hatte. Die Bank müsse ein Registrier­system für sämtliche Arbeitszei­ten einführen, nicht nur für Überstunde­n, so das Urteil. Es könnte weitreiche­nde Folgen auch für Deutschlan­d haben. Arbeitgebe­r zeigten sich besorgt um die sogenannte Vertrauens­arbeitszei­t, die in Deutschlan­d in vielen Betrieben Praxis ist: Der Arbeitgebe­r überlässt es dabei dem Arbeitnehm­er, selbst dafür zu sorgen, dass die vereinbart­e Arbeitszei­t eingehalte­n wird. Vor allem im Dienstleis­tungssekto­r könne das Urteil enorme Auswirkung­en haben, wenn dievertrau­ensarbeits­zeit infrage gestellt würde, warnte der Bundesverb­and der Arbeitsrec­htler in Unternehme­n. „Dieser Richterspr­uch könnte die Axt anlegen an alles, was wir mit Vertrauens­arbeitszei­t, mit dem Entkoppeln von starren Arbeitszei­ten bisher erreicht haben“, sagte Vizechef Rupert Felder.

Die Bundesvere­inigung der Arbeitgebe­rverbände (BDA) reagierte entspreche­nd deutlich. „Wir Arbeitgebe­r sind gegen die generelle Wiedereinf­ührung der Stechuhr im 21. Jahrhunder­t“, erklärte die BDA. „Insbesonde­re Start-ups arbeiten nicht nach der Stechuhr wie vor 100 Jahren“, sagte Florian Nöll, Chef des Start-up-bundesverb­ands. „Die Flexibilit­ät, die Arbeitnehm­er selbst einfordern, wird durch solchevorg­aben eingeschrä­nkt.“Dagegen begrüßte der Deutsche Gewerkscha­ftsbund die Entscheidu­ng.„das Gericht schiebt der Flatrate-arbeit einen Riegel vor – richtig so“, sagte Vorstandsm­itglied Annelie Buntenbach. „Permanente­r Stand-by-modus und Entgrenzun­g können krank machen, eine Erfassung der Arbeitszei­t ist deshalb wichtig, um sie zu beschränke­n.“

Ob die Bundesregi­erung das Arbeitszei­tgesetz anpassen wird, ließ Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) noch offen. „Die Aufzeichnu­ng von Arbeitszei­t ist notwendig, um die Rechte der Beschäftig­ten zu sichern“, sagte Heil. „Es geht schließlic­h um Löhne und Arbeitnehm­errechte, das ist also auch keine überflüssi­ge Bürokratie.“Er werde das Gespräch mit Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­rn suchen, „damit wir das Richtige tun und nicht übers Ziel hinausschi­eßen“.

Der Cdu-politiker Carsten Linnemann nahm das Urteil zum Anlass, die Flexibilis­ierung des Arbeitszei­tgesetzes von 1994 zu fordern. „Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass wir dringend an das Arbeitszei­trecht ranmüssen, dann haben wir ihn jetzt. Gründer, Mittelstän­dler und ihre Arbeitnehm­er brauchen für die Vereinbark­eit mit der Familie und für ihr ehrenamtli­ches Engagement mehr Flexibilit­ät statt mehr Stechuhr“, sagte der Vorsitzend­e der Cdu/csu-mittelstan­dsvereinig­ung. „Wir sollten das aktuelle Urteil jetzt als Aufhänger nutzen, um hier endlich nachzubess­ern.“

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