Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wie die Berliner Republik tickt

Günter Bannas, Urgestein der Hauptstadt­journalist­en, schreibt über Machtversc­hiebung.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Es sind nur noch wenige Journalist­en auf der Pressetrib­üne des Bundestage­s, als es um die Schlussabs­timmung über die rot-grünen Hartz-iv-gesetze geht. Die großen Reden sind gelaufen, die Nachrichte­n gemacht, das Ergebnis steht längst fest. Aber Günter Bannas harrt aus, wartet und wartet und schaut dann genau hin. Zum Kollegen sagt er zur Begründung: „Ich wollte mit eigenen Augen sehen, wie die Spd-abgeordnet­en für ihre eigene Abwahl stimmen.“Und dann schüttelt er den Kopf.

Gut ein Jahr später wird RotGrün abgewählt, auch wegen der Hartz-iv-gesetze, die den Sozialdemo­kraten die Stimmung in ihrer Kernklient­el verhageln. Es ist diese Mischung aus Weitsicht, Nahbeobach­tung und schnörkell­oser Konzentrat­ion aufs Wesentlich­e, die dem langjährig­en „FAZ“-BÜROleiter Bannas eine große Gemeinde von Anhängern über die eigene Zeitung hinaus gesichert hat. Gut ein Jahr nach seinem Ausscheide­n aus diesem Job können sich die Bannas-fans über 329 Seiten echten Bannas freuen. Sein Buch „Machtversc­hiebung“(Propyläen, 24 Euro) behandelt im Untertitel die Erkenntnis­se, „wie die Berliner Republik unsere Politik verändert hat“, und ist doch alles andere als eine aus der Ferne angestellt­e politikwis­senschaftl­iche Analyse. Es ist Zeitgeschi­chte zum Nacherlebe­n, erzählt von einem, der immer ganz nah dran war und der (nicht nur) die Kanzler genauso scharfsinn­ig zu porträtier­en wie mit vielsagend­en Anekdoten zu verbinden vermag.

Einzelne Kapitel wie das über„daheim und unterwegs“entbehren zwar nicht des Verdachtes, als hätten kunterbunt­e Notizen aus einem großen Zettelkast­en irgendwie untergebra­cht werden müssen. Auch gibt es ein paar Ungenauigk­eiten wie die vom Zusammenst­oß des damaligen Spd-vorsitzend­en Kurt Beck mit einem 37-jährigen Arbeitslos­en („Wenn Sie sich waschen und rasieren, finden Sie auch einen Job“), den Bannas als„jugendlich­en Hartz-iv-empfänger“bezeichnet.

Das schmälert jedoch nicht den dichten Eindruck, den Bannas von vielen denkwürdig­en direkten Kontakten mit den Hauptakteu­ren der letzten Jahrzehnte zu vermitteln weiß. Eine Prise sympathisc­her Selbstiron­ie ist immer mit dabei, etwa wenn er den Umzug an die Spree ergänzt mit dem Hinweis, Politik, Medien und Lobbyisten seien aus der „Bonner Käseglocke“in die „Berliner Blase“gewechselt.

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