Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Wie die Berliner Republik tickt
Günter Bannas, Urgestein der Hauptstadtjournalisten, schreibt über Machtverschiebung.
BERLIN Es sind nur noch wenige Journalisten auf der Pressetribüne des Bundestages, als es um die Schlussabstimmung über die rot-grünen Hartz-iv-gesetze geht. Die großen Reden sind gelaufen, die Nachrichten gemacht, das Ergebnis steht längst fest. Aber Günter Bannas harrt aus, wartet und wartet und schaut dann genau hin. Zum Kollegen sagt er zur Begründung: „Ich wollte mit eigenen Augen sehen, wie die Spd-abgeordneten für ihre eigene Abwahl stimmen.“Und dann schüttelt er den Kopf.
Gut ein Jahr später wird RotGrün abgewählt, auch wegen der Hartz-iv-gesetze, die den Sozialdemokraten die Stimmung in ihrer Kernklientel verhageln. Es ist diese Mischung aus Weitsicht, Nahbeobachtung und schnörkelloser Konzentration aufs Wesentliche, die dem langjährigen „FAZ“-BÜROleiter Bannas eine große Gemeinde von Anhängern über die eigene Zeitung hinaus gesichert hat. Gut ein Jahr nach seinem Ausscheiden aus diesem Job können sich die Bannas-fans über 329 Seiten echten Bannas freuen. Sein Buch „Machtverschiebung“(Propyläen, 24 Euro) behandelt im Untertitel die Erkenntnisse, „wie die Berliner Republik unsere Politik verändert hat“, und ist doch alles andere als eine aus der Ferne angestellte politikwissenschaftliche Analyse. Es ist Zeitgeschichte zum Nacherleben, erzählt von einem, der immer ganz nah dran war und der (nicht nur) die Kanzler genauso scharfsinnig zu porträtieren wie mit vielsagenden Anekdoten zu verbinden vermag.
Einzelne Kapitel wie das über„daheim und unterwegs“entbehren zwar nicht des Verdachtes, als hätten kunterbunte Notizen aus einem großen Zettelkasten irgendwie untergebracht werden müssen. Auch gibt es ein paar Ungenauigkeiten wie die vom Zusammenstoß des damaligen Spd-vorsitzenden Kurt Beck mit einem 37-jährigen Arbeitslosen („Wenn Sie sich waschen und rasieren, finden Sie auch einen Job“), den Bannas als„jugendlichen Hartz-iv-empfänger“bezeichnet.
Das schmälert jedoch nicht den dichten Eindruck, den Bannas von vielen denkwürdigen direkten Kontakten mit den Hauptakteuren der letzten Jahrzehnte zu vermitteln weiß. Eine Prise sympathischer Selbstironie ist immer mit dabei, etwa wenn er den Umzug an die Spree ergänzt mit dem Hinweis, Politik, Medien und Lobbyisten seien aus der „Bonner Käseglocke“in die „Berliner Blase“gewechselt.