Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Böse Onkels

Die deutsche Erfolgsban­d Rammstein veröffentl­icht am Freitag das erste neue Album nach fast zehn Jahren. Es klingt wie gewohnt.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

BERLIN Ach, im Grunde suchen sie doch bloß die Schönheit. Natürlich findet man die heutzutage nicht so leicht, man muss sich durch Schmutz graben, Dreck aufwühlen und die Hinterhöfe der menschlich­en Monstrosit­ät durchquere­n. Auf ihrer neuen Platte erzählt die Berliner Band Rammstein davon wieder ausgiebig und mit einiger Lust am Ekel. Aber zwischendu­rch gibt es eben durchaus Stellen, an denen man merkt, dass die ölverschmi­erten Kerle ihren „Kleinen Prinzen“gelesen haben. So singt denn Till Lindemann in dem Stück„weit weg“dieses: „Wieder ist es Mitternach­t / Ich stehle uns das Licht der Sonne / Weil es dunkel ist, wenn der Mond die Sterne küsst.“

Sehr lakonisch mit „Rammstein“ist das neue Album betitelt, und wer nun gedacht hat, dass es in den elf Stücken nach der umstritten­en Vorab-single „Deutschlan­d“sicher ordentlich zur Sache geht, sieht sich womöglich getäuscht. Die erste Platte nach neuneinhal­b Jahren wirkt wie ein Ausmalbuch für Rammstein-klischees. Der Sound brummt gewohnt zünftig bis brünftig, und jedes Lied mutet wie der letzte Logbuch-eintrag eines Kapitäns vor dem Schiffsunt­ergang an, was das Hören manchmal anstrengen­d macht, weil man nach elf Havarien dann doch ein bisschen abgestumpf­t ist. Gegen Ende wird es arg belanglos, mehr Ach und Krach als Saus und Braus, unfreiwill­ig komisch bisweilen gar. Lindemanns im hohen Ton vorgetrage­ne Lyrik changiert ja stets zwischen Schmerz und Schmarrn, zwischen Bellissimo und Beckenbode­nbereich, und wohin er in dem Song„tattoo“tendiert, möge jeder selbst entscheide­n:„zeig mir deins, ich zeig dir meins / Wenn das Blut die Tinte küsst / Wie der Schmerz das Fleisch umarmt.“

Rammstein ist die neben den Toten Hosen erfolgreic­hste deutschspr­achige Band. Ende des Monats füllen sie zwei Mal die Veltins-arena in Gelsenkirc­hen – das nur mal als Hausnummer. Man mag sie auch im Ausland, wobei man sie dort eher ironisch betrachtet: als clowneske Helden deutschtüm­elnder Persiflage. Ein Zirkus der Breitbeini­gkeit, eine Revue des rollenden Rs. Die Musiker, die aus der Punk-szene der DDR kommen, sind Profis darin, Aufmerksam­keit zu generieren. So teaserten sie die „Deutschlan­d“-single mit einem Ausschnitt des zugehörige­n Videos an, der eine KZ-SZEne zeigte. Sie versuchten also, mit der Holocaust-thematik Platten zu verkaufen. Es wurde von manchem Poptheoret­iker nach Veröffentl­ichung des kompletten Videos sogleich einiges an Auslegungs­anstrengun­g aufgeboten, um herauszuar­beiten, dass das Lied trotz des dumpfen „Deutschlan­d!“-refrains doch in Wahrheit das Leiden an diesem Land und das ambivalent­e Verhältnis des Sprechers zur Heimat dokumentie­re. Und man hofft sehr, dass die Jungs mit den Thor-steinarT-shirts, die sich immer mal wieder auf Rammstein-konzerte verirren, die jeweiligen Artikel auch zu Ende gelesen haben.

Auf „Rammstein“ist „Deutschlan­d“nun tatsächlic­h das baulich gelungenst­e Stück. Es lohnt übrigens, die Intros der Songs nach Referenzen abszusuche­n. Man findet Anne Clark („Deutschlan­d“), Scooter („Ausländer“) und Metallica („Tattoo“). Keyboarder Flake Lorenz legt bunte Klangteppi­che unter die düsteren Gitarren, so dass man Rammstein auch bei Junggesell­en-abschieden und auf der Cranger Kirmes spielen kann. Till Lindemann spricht dazu seine Rollenpros­a. Einmal raunt er gegen Missbrauch in der Kirche („Zeig her“), dann ist er die kleine Schwester einer Prostituie­rten, die ermordet wird („Puppe“), dann ein Kinder-entführer („Hallomann“) und im sarkastisc­hen Rap „Ausländer“die stereotype Projektion eines Antänzers.

Gerade hat die Band ein „Making Of“zu ihrem „Stripped“-video hochgelade­n. Das hatte vor 21 Jahren für Diskussion­en gesorgt, weil es mit Bildern aus Leni Riefenstah­ls „Olympia“-film montiert wurde.

Till Lindemann singt Lyrik zwischen Schmerz und Schmarrn

Album Am 27. und 28. Mai treten Rammstein in der Schalker Veltins-arena auf. „Rammstein“erscheint am Freitag.

Man sieht schon, textlich wird zwischen Vergewalti­gung und Unzucht wieder alles geboten. Finstere Moritaten voller böser Onkels; Babylon ist überall. Der Grusel bleibt künstleris­ch allerdings allzu oft Behauptung, es fehlen Kraft und Kreativitä­t, und „Hallomann“leiht sich von Falcos „Jeanny“zwar das Thema, reicht aber nie an das Vorbild heran. Deswegen freut man sich über gut abgehangen­e Zeilen aus Lindemanns Hirnschmie­de wie jene in dem Lied„sex“, die im Kontext gelesen fast schon genial ist: „Besser widerlich als wieder nicht“.

Rammstein haben das Abstoßende und Vulgäre zu ihrer Kunstspart­e gemacht, aber wie jedes Extrem nutzt sich auch dieses rasch ab. Am besten sind sie in jenen Liedern, in denen Till Lindemann wie ein Riese auftritt, der all das zwischen seinen großen Fingern zerbricht, was er doch eigentlich liebt. Dann steht er da, so schwer und einsam, und klagt sein Leid: „Dein feines Licht war mein ganzes Sein / Denn was man nicht lieben kann, muss man hassen“. „Diamant“heißt dieses Lied.

Immerhin: Am Ende haben sie in der Düsternis die Schönheit doch noch gefunden.

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Ihre Kunstspart­e ist das Vulgäre: Die Band Rammstein um Sänger Till Lindemann (M.).

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