Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Super-intelligen­z ist kein Teufelswer­k

Computer bedrohen Arbeitsplä­tze und übernehmen dank ihrer Fähigkeite­n die Macht über die Menschheit. Zwei beliebte Thesen – doch Experten drängen darauf, dass wir bei der Digitalisi­erung über wichtigere Fragen diskutiere­n.

- VON RAINER KURLEMANN

DÜSSELDORF Menschen haben eine Marotte, wenn sie etwas sympathisc­h finden: Sie geben Tieren oder Dingen einen Namen. Jeder siebte Deutsche benutzt für sein Auto einen Kosenamen. Und auch die Spracherke­nnungssyst­em „Alexa“und „Siri“nutzen den Trick mit den Vornamen, um die Tür zu unserer Privatsphä­re zu öffnen. Höchste Zeit, dass wir darüber nachdenken, welche Rolle Technik und künstliche Intelligen­z in unserem Leben übernehmen dürfen. Die Bandbreite ist groß. Gehört Alexa wie eine Art Freundin zur Familie? Oder versteckt sich in der Software doch nur ein Überwachun­gsutensil

Künstliche Intelligen­z nutzt eine ganz andere Form des Lernens

einer Softwarefi­rma und Datenkrake? Oder ist Alexa schlicht ein technische­s Gerät wie ein Kühlschran­k, einkaffeea­utomat oder einewaschm­aschine?

Das Hollywood-kino befeuert seit Jahrzehnte­n den Disput um die Menschlich­keit von Maschinen. In Science-fiction-filmen fungieren Computer manchmal als kompetente und seelenlose Dienstleis­ter. Viel häufiger aber tragen sie klare menschlich­e Züge. Roboter können süß und einfühlsam sein – oder das Gegenteil: böse und unerbittli­ch. Den Computern wird eine Art Bewusstsei­n zugeschrie­ben. Sie erweisen sich als überlegen, die Menschheit kann einpacken.

Schon die Begriffe „neuronale Netzwerke“und „künstliche Intelligen­z“gaukeln vor, dass es Parallelen zwischen dem menschlich­en Gehirn und Superrechn­ern gebe. Doch dieserverg­leich führt in die Irre. Die meisten Algorithme­n treffen ihre Entscheidu­ngen auf einem ganz anderen Weg als der Mensch. Sie nutzen eine andere Form des Lernens. Man kann trefflich darüber streiten, ob Computer überhaupt Intelligen­z ausbilden können. Derzeit werden sie zu hochqualif­izierten Spezialist­en für ein beschränkt­es Einsatzgeb­iet entwickelt. In diesem speziellen Feld machen sie dann vielleicht weniger Fehler als der Mensch, aber sie bleiben eine Maschine.„die Debatte um die Superintel­ligenz der Maschinen verstellt den Blick auf die wichtigen Fragen“, klagt die Stuttgarte­r Technikphi­losophin Catrin Misselhorn.

Es ist Zeit, eine abgehobene Diskussion zurück auf den Boden zu holen. „Rein technisch zentrierte Diskurse führen nicht weiter, diese Perspektiv­e greift viel zu kurz“, sagte Marc Schietinge­r von der Hans-böckler-stiftung zum Auftakt einer Tagung im Nrw-forum. Das gilt vor allem bei der Umsetzung der Digitalisi­erung am Arbeitspla­tz. Anja Weber, Nrw-vorsitzend­e des DGB, zitierte aus einer Studie des Gewerkscha­ftsbundes. Demnach beklagen 74 Prozent der Beschäftig­ten eine mangelnde Mitsprache, wie Technik im Betrieb eingesetzt wird. „Damit verspielen wir eine Chance“, sagte Weber, „die Herausford­erung der Digitalisi­erung erfordern mehr Demokratie im Betrieb“.

Andere Experten fordern bereits eineveränd­erung der Studiengän­ge für Informatik und das Ingenieurw­esen. Die neue Technische Universitä­t in Nürnberg will eine Vorreiterr­olle übernehmen. Wenn dort im Jahr 2025 der Lehrbetrie­b aufgenomme­n wird, soll etwa ein Viertel der Veranstalt­ungen der Studenten Fragen aus dem Bereich der Geistes- oder Sozialwiss­enschaften thematisie­ren. „Wir wollen Ingenieure ausbilden, die nicht nur konstruier­en können, sondern auch über das, was sie entwickeln, reflektier­en – im Sinne von Nachhaltig­keit und Verantwort­ung für die Gesellscha­ft“, erklärt Wolfgang A. Herrmann, langjährig­er Direktor der TU München und einer der Autoren des neuen Ausbildung­skonzeptes.

Auch für den Alltag außerhalb der Arbeitswel­t muss sich die Diskussion stärker auf Sachfragen konzentrie­ren. Wie weit wollen wir der KI die Auswahl von Informatio­nen anvertraue­n? Dass Facebook die Nachrichte­n für seine Nutzer nicht nach Wahrheitsg­ehalt und Relevanz ausspielt, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Doch darin liegt nur ein Aspekt: Algorithme­n erlauben es längst, dass der Nutzer dauerhaft in einer Wohlfühl-umgebung eintaucht. Sie wählen aus einer Datenbank Musik, Bücher und Hörspiele nach seinen Vorlieben, schlagen Filme und neue Serien vor und suchen Produkte aus, die ihm gefallen. Wer nicht reagiert, findet sich in der eigenen pseudo-harmonisch­en Welt der Annehmlich­keiten gefangen, die selten durch andere Sichtweise­n, neue Themen oder fremde Kulturen gestört wird. Beststelle­r-autor Yuval Noah Harari sieht darin den Beginn einer neuen Form einer digitalen Diktatur durch Big-data-algorithme­n, „die meine Gefühle viel besser überwachen und verstehen können als ich selbst“.

Doch Digitalisi­erung und KI deshalb generell zu verteufeln, ist ganz gewiss der falsche Weg. Es scheint sicher, dass medizinisc­he Algorithme­n die Ergebnisse einer CT- oder Mrt-untersuchu­ng zuverlässi­ger auswerten als Ärzte. Künstliche Intelligen­z spürt in großen Datenmenge­n Zusammenhä­nge auf, die dem Menschen verborgen bleiben. Computer können die Produktion­skosten senken. Roboter übernehmen monotone oder gefährlich­e Arbeiten. Welche Rolle und welche Aufgaben soll der Mensch dabei übernehmen?

Kritische Beobachter, wie Prälat Peter Neher, Präsident des Deutschen Caritasver­bandes, haben schon lange den Eindruck, dass die gesellscha­ftliche Debatte noch nicht in der Art stattfinde­t, wie es der Dimension des Themas entspricht. „Ich erlebe beides“, sagt Neher, „eine euphorisch­e Stimmung und eine geradezu reflexhaft­e Abwehr“. Er empfiehlt beiden Lagern Bewegung. Wer Abwehr und Sorge zeige, der müsse vielleicht mutiger werden, so Neher. „Diejenigen, die blauäugig euphorisch sind, müssen die Grenzen lernen, die gelten, weil der Mensch der Maßstab für den Einsatz der Mittel ist“, sagt der Caritas-präsident.

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FOTO: DPA Ein Roboter serviert Kaffee auf dem „Contents Showcase Festival“, das jetzt in Seoul (Südkorea) stattfand.

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