Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Theatergruppe setzt den Diebstahl von Zeit beeindruckend in Szene
SÜDSTADT Wohl kaum jemand wäre noch auf freiem Fuß, gäbe es den Straftatbestand des Zeitdiebstahls. Dieses spannende und zum Nachdenken anregende Gedankenspiel hat das junge Ensemble der Theatergruppe „no.name“unter der Leitung von Werner Alderath und Marius Panitz jetzt in ein aufwühlendes Theaterstück gegossen. Es hatte jetzt im Jugendzentrum GOT, der künstlerischen Heimat des Ensembles, vor nahezu ausverkauftem Haus Premiere.
„Tempus non fugit“(Zeit flieht nicht) ist der Titel der anspruchsvollen Eigenproduktion. „Wer hat schon einmal jemandem die Zeit gestohlen? Wer hat einen Freund bei einer Verabredung an der Straßenecke warten lassen, wer ist bei einer grünen Ampel schon einmal zu spät losgefahren?“Lappalien wie diese entlocken den meisten Menschen heute lediglich ein gleichgültiges Schulterzucken. Nicht so in dem Stück – denn darin steht darauf eine saftige Gefängnisstrafe.
Um den in orangefarbenen Overalls gekleideten Insassen jegliches Zeitgefühl zu rauben, stehen alle Uhren auf Mitternacht. Sie sind buchstäblich dazu verdonnert, ihre Zeit abzusitzen. Lediglich der Wärter hat eine tickende Taschenuhr, nach der die Insassen sehnsüchtig verlangen. Denn in einem Gefängnis, in dem alle zugänglichen Uhren stillstehen, wird die Zeit sehr lang, da kann man schon einmal austicken. Das erleben die begeisterten Zuschauer bei einem vermeintlich typischen Hofgang, der schon bald zu einer irren Tour mutiert, in der die Insassen Grenzen überschreiten, die fernab der Realität liegen.
Iclal Alduman, Jan Kalvelage, Cynthia Mroczynski, Emily Rötzsch, Tessa Scholl, Lina de Vries,victoria Wiederholz und Alina Zagorica sind in dieser Saison die Akteure und verkörpern ihre Rollen brillant. Sie beleuchten das Thema Zeit, ein Thema, zu dem bereits alles gesagt zu sein scheint, von allen Seiten und zeigen vielfältige Facetten auf.
Schließlich erkennen die Insassen, dass es an der Zeit ist, sich die Zeit zu nehmen: für ein Buch, für Musik, für die Eltern, Freunde, den kleinen Hund oder die Lieblingsserie im Fernsehen. Für die Zuschauer ist das Stück „Tempus non fugit“wertvoll verbrachte Zeit. Zeit, in sich hineinzuhören und nicht in den sozialen Netzwerken Leben von Menschen zu verfolgen, die sie noch nicht einmal kennen. Auch das wird in dem Stück der kreativen „no.name“-truppe kritisiert. Und wenn es schon einmal um Zeitdiebstahl geht: Das Theaterspiel dauert eine gute Stunde.
Weitere Aufführungen
23. Mai, 20 Uhr, Bis-zentrum, Bismarckstraße 9799, Mönchengladbach; 15. Juni, 19 Uhr, Your Stage Festival, Rheinisches Landestheater, Oberstraße 95, Neuss; 4. Juli, 20 Uhr, Pop-up Kultus, Ostwall 18, Grevenbroich. Tickets sind bei den jeweiligen Veranstaltungsstätten.