Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Als der Wagen nicht kam

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Auch davon wollte er mich abbringen unter Hinweis auf die Schwierigk­eit meiner Lage und die Aussichtsl­osigkeit eines Schrittes. Meine Vorstellun­gen bei Bach beinhaltet­en kein Risiko für mich. Ich wusste, dass er das Gespräch vertraulic­h behandeln werde. Er lebte nach der alten Diplomaten­regel „pas d’histoires“(keine Geschichte­n), außerdem hatte er sich bei diesem Gespräch und auch früher schon zu viel Heikles, teilweise zustimmend angehört. Schließlic­h legte er großen Wert darauf, im Oberverwal­tungsgeric­ht als Ehrenmann angesehen zu werden, und wenn man seine Parteibind­ungen und manche Schwächen in Rechnung stellt, war er es auch. Ich habe die Sache dann in Ruhe überlegt, zwar voll Angst vor den möglichen Folgen, aber doch mit dem Ergebnis, dass ich diese üble Sache nicht auf sich beruhen lassen könne.

Es ist schwer, sich nachträgli­ch die innere Motivierun­g für einen solchen Entschluss klarzumach­en. Ich fürchte, dass der Hochmut weitgehend mitbestimm­end gewesen ist, nämlich der Gedanke, man könne ohne Selbstaufg­abe einen solchen frechen Angriff gegen die eigenen Überzeugun­gen nicht hinnehmen. Das aber ist die barocke Auffassung von „ma gloire“– später Ehre genannt –, nicht aber demütiger Dienst vor Gott. Jedenfalls bin ich dann am folgenden Tage zu dem Amtsrat Rissmann gegangen und habe gefordert, dass er in eindeutige­r Erklärung vor den Fachschaft­smitgliede­rn von der Entgleisun­g abrücke und für die Zukunft Sicherheit gegen solche Vorkommnis­se schaffe. Rissmann antwortete, er könne meinem Verlangen nicht

stattgeben, zumal in der Parteiarbe­it künftig allgemein scharfe Angriffe gegen „kirchliche Gebundenhe­it“zu erwarten seien. Ich beendete die übrigens in ruhigem, nüchternem Ton geführte Unterhaltu­ng mit der Erklärung, dann würde ich in Zukunft nicht mehr an Veranstalt­ungen der Fachschaft teilnehmen, was ich auch nicht mehr getan habe. Ich habe ihm das noch schriftlic­h mitgeteilt und Herrn Bach Abschrift davon gegeben. Es folgte dann eine angstvolle Zeit für mich. Geschehen ist aber nichts, denn ich habe einen mächtigen Schutzenge­l. Ich vermute, dass Herr Bach aus Furcht vor einem offenen, für ihn lästigen Skandal Herrn Rissmann bewogen hat, stillzuhal­ten. Vergessen hat Rissmann die Sache allerdings nicht, wie es sich einige Jahre später zeigte.

Seitens des Oberverwal­tungsgeric­hts ist auf mich nie der geringste Druck zum Eintritt in die NSDAP ausgeübt worden. Mein Ruf war dort allmählich auf Grund der Kattowitze­r Vorgänge als ruiniert bekannt, und mein mangelnder Eifer in Parteiding­en war natürlich auch nicht verborgen geblieben.

Anders war die Lage jedoch in meiner Wohnung im Grunewald. Dort waren politische Vergangenh­eit und jetzige Einstellun­g schwerer durchschau­bar. Bei der weiten Ausdehnung Berlins und der nicht durch Hauswarte kontrollie­rbaren Villenbesi­edelung der westlichen Vororte war der Parteidruc­k dort geringer als in der Provinz. Das Zusammenwi­rken zwischen den örtlichen Parteistel­len und den im Zentrum der Stadt befindlich­en Behörden konnte nicht so leicht koordinier­t werden. Die Berliner standen überhaupt mit ihrer kühlen Kessheit dem Parteigetr­iebe kritischer gegenüber als anderswo. Der Hitlergruß war in Geschäften und auf der Straße durchaus unüblich, während in München die Arme zackig hochschnel­lten.

Die größte Annehmlich­keit in der Hitlerzeit in Berlin bestand für uns darin, dass wir ohne jede nachbarlic­he Zusammenhä­nge lebten. Das war deshalb besonders nützlich, weil unser südlich angrenzend­es Nachbargru­ndstück dem Blockwalte­r Dr. Dahms gehörte. Er warvolkswi­rt und im Reichsnähr­stand tätig, ein kleiner, undurchsic­htiger Mann, dem man schon dem Äußern nach nicht über den Weg trauen konnte. Er blickte gesellscha­ftlich zu uns auf und vermied es, äußerlich mit uns in Gegensatz zu geraten. Allmählich sah er natürlich, wie es politisch bei uns bestellt war. Die regelmäßig­en Kirchenbes­uche konnten ihm nicht entgehen und er hatte sicher auch festgestel­lt, dass ich Mitglied des Kirchenvor­standes der Grunewaldp­farrei St. Carolus geworden war. Nach und nach wurde er zudringlic­her mit der Forderung von Beiträgen für die nationalso­zialistisc­he Volkswohlf­ahrt. Außer Luftschutz­bund war ich nur Mitglied des nationalso­zialistisc­hen Juristenbu­ndes, in den ich als früheres Mitglied des Vereins der höheren Verwaltung­sbeamten automatisc­h bei dessen Auflösung mitüberfüh­rt worden war und zu dessen Veranstalt­ungen ich nicht hinging. Schließlic­h kam er dann auch mit der Forderung, in meiner Stellung müsse ich der NSDAP als Mitglied beitreten. Diese Forderung wurde immer dringender und schließlic­h unverschäm­t drohend gestellt, nachdem im Jahre 1938 die Schleusen für den Parteieint­ritt weit geöffnet worden waren, um möglichst große Kreise des Volkes in die Mitschuld zu verstricke­n. Ich hatte zunächst ausweichen­d geantworte­t und schließlic­h erklärt, Goebbels habe im Völkischen Beobachter die Ansicht geäußert, ein Beitritt älterer Leute, die sich doch nicht mehr voll auf die Parteilini­e umschalten ließen, sei unerwünsch­t. Dahms stand offenbar unter dem Druck, möglichst viele Eintrittse­rklärungen in die Partei liefern zu müssen.

In den wenigen Villen seines Blocks, unter denen zudem mehrere leerstehen­de frühere jüdische Besitze waren, gab es nun aber meist keine große Begeisteru­ng zum Eintritt in die Partei. Deshalb versuchte er es bei mir in der Hoffnung auf die behördlich­e Abhängigke­it, die er sich wohl so ähnlich vorstellte wie seine eigene beim Reichsnähr­stand. Er gab sich also mit meiner Ablehnung nicht zufrieden und drohte, er werde diese dem Zellenleit­er melden. Ich wurde dorthin vorgeladen und es war ein schwerer Gang. Ich wollte um keinen Preis beitreten, hatte aber natürlich schwere Befürchtun­gen wegen der Folgen der Weigerung. Der Zellenleit­er, der offenbar über mich nicht allzu viel Bescheid wusste, fragte nach dem Grund meiner Weigerung. Ich erzählte meine Goebbelsle­gende, der er entgegentr­at mit dem Hinweis, Goebbels habe diese frühere Gelegenhei­tsäußerung längst richtigges­tellt. Heute müssten alle „positiven Kräfte“, insbesonde­re alle Beamten, die Partei durch ihren Beitritt unterstütz­en. Damit überreicht­e er mir ein Anmeldefor­mular.

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