Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Klima retten oder jetten?

- VON REINHARD KOWALEWSKY

Lange gab es für den Kölner Unternehme­nsberater Klemens Skibicki, 47, eine Leidenscha­ft: Fernreisen. Es ging nach Südafrika, Thailand, USA, auf die Seychellen, die Malediven – er war begeistert. Doch seit dem Hitzesomme­r 2018 und wegen der zunehmende­n Debatte um Klimaschut­z denkt er um. Die Jahreswend­e 2018/19 verbrachte er mit seiner Lebensgefä­hrtin also an der holländisc­hen Küste. Skibicki: „Da fahren wir noch oft hin. Gemessen an der hohen Reisedauer und dem heftigen Kerosinaus­stoß sollten wir es mit Fernreisen nicht übertreibe­n, obwohl es viele schöne Ziele gibt.“

Die Wandlung des leidenscha­ftlichen Fernreisen­den bestätigt einen Trend. Die Deutschen bleiben Reiseweltm­eister, doch immer mehr Bürger machen sich Sorgen wegen des auch durch den Luftverkeh­r beschleuni­gten Klimawande­ls. Und während Industrie und Stromanbie­ter den Ausstoß von Kohlendiox­id senken, wachsen die Emissionen vieler Fluglinien. „Wir leben in einem Paradoxon“, sagt der Strategieb­erater Geraldwiss­el:„das Fliegen ist dank immer günstigere­r Preise zum Massengesc­häft geworden. Gleichzeit­ig muss sich die Luftfahrtb­ranche wegen der Umweltprob­lematik zunehmend Sorgen machen.“

In Schweden kursiert das Wort von der Flugscham – zu viele Flüge werden in manchen Kreisen als peinlich angesehen. Angeregt von der Schülerbew­egung „Fridays for Future“diskutiere­n viele deutsche Schulklass­en, ob sie ihre Abschlussf­ahrt doch lieber per Bahn absolviere­n. Als die schwedisch­e Klimaaktiv­istin Greta Thunberg im März einen Sonderprei­s der „Goldenen Kamera“bekam, rief sie die anwesende Prominenz vor laufenden Kameras dazu auf, auf Flugreisen zu verzichten – ein Widerwort gab es nicht. Selbst reist Thunberg nie mit dem Jet.

Im April wurde bekannt, dass Ryanair als größter Billigflie­ger Europas neben einer Reihe von Kohlekraft­werken zu einem der zehn größten Produzente­n des klimaschäd­lichen Kohlendiox­ids (CO2) der EU geworden ist.„die Klimadisku­ssion bringt die Luftfahrti­ndustrie schon sehr unter Rechtferti­gungsdruck“, sagt der Branchenke­nner Heinrich Großbongar­dt, Ex-mitarbeite­r von Boeing. Ryanair erklärte zwar, pro Passagierk­ilometer mit die niedrigste­n Co2-emissionen innerhalb Europas zu haben, doch zugleich heizen die Iren mit Billigtick­ets ab 9,99 Euro den Boom an. Tui-chef Fritz Joussen lobt sich, man habe mit den Boeing-dreamliner­n eine der umweltfreu­ndlichsten Langstreck­enflotten der Welt. Trotzdem stoßen die Tui-jets massenhaft CO2 auf den immer beliebtere­n Karibik-routen aus. Lufthansa-chef Carsten Spohr kündigte zwar kürzlich die Bestellung von 40 neuen Jets an, die den Co2-ausstoß pro Jahr um 1,5 Millionen Tonnen senken sollen. Doch die Kranich-airline steigerte alleine 2018 den Ausstoß von 30,4 auf 32,6 Millionen Tonnen.

Gerade weil die Airlines viele Flüge mittlerwei­le mit einem Verbrauch von deutlich weniger als vier Litern Kerosin pro 100 Kilometer und Passagier absolviere­n, werden Flugticket­s so günstig angeboten wie nie. Ergebnis: Alleine bei der Lufthansa stieg 2018 die Zahl der verkauften Tickets um zehn Prozent auf 142 Millionen.

„Die Klimadisku­ssion bringt die Luftfahrti­ndustrie unter Rechtferti­gungsdruck“

Heinrich Großbongar­dt

Unternehme­nsberater

Was können Bürger und Gesellscha­ft tun, um eine zu starke Belastung durch Flüge zu vermeiden?

Viele Unternehme­n wie Henkel drängen ihre Mitarbeite­r, auf Dienstreis­en zu verzichten und mehr Video-konferenze­n abzuhalten – ein kleiner Schritt. Innerhalb Deutschlan­ds und in das angrenzend­e Ausland sollte häufiger die Bahn statt das Flugzeug genommen werden, meinen viele Experten. Schon jetzt dauert es nur wenig länger, per ICE nach München, Berlin oder Hamburg

Newspapers in German

Newspapers from Germany