Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Groko auf Kuschelkur­s

Die Fraktionsc­hefs demonstrie­ren so viel Einigkeit, dass es fast wehtut.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN „Herzlich willkommen zur Groko-lounge“, heißt Moderatori­n Inga Michler ihre Gäste willkommen. Andrea Nahles kichert. „Das gefällt mir“, sagt die SPD-VORsitzend­e. „Vielleicht leihen wir uns das nächste Mal für unsere Koalitions­treffen die Sofas da hinten aus“, scherzt Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus, ihr Sparringsp­artner an diesem Abend beim Deutschen Industrie- und Handelskam­mertag (DIHK) in Berlin. „Ja, genau, das wäre so gemütlich“, flötet Nahles.

Die beiden sind auf Kuschelkur­s, und sie wollen, dass es jeder merkt. Das ist erstaunlic­h so kurz vor der Europawahl, vor der es eigentlich um die größtmögli­che Unterschei­dbarkeit gehen müsste. Aber gerade die angeschlag­ene Spd-vorsitzend­e will diese Koalition unbedingt fortsetzen. Bei einer Neuwahl würde die SPD noch schlechter abschneide­n als 2017. Auch Brinkhaus hat offenkundi­g kein Interesse an einem vorzeitige­n Ende. Er will lieber die Rechtsextr­emen auf Abstand halten als die SPD noch kleiner machen.

Am Abend zuvor haben sich beide im Koalitions­ausschuss auf Bürokratie­abbau und Hilfe für die Paketboten geeinigt. Kleine Vorhaben, doch man wollte unbedingt Einigkeit demonstrie­ren. „Es läuft, es läuft, es läuft“, sagt Nahles jetzt. Michler hakt nach, was denn mit dem erbitterte­n Koalitions­streit über die Grundrente sei. Na klar, da sei man sich über die Bedürftigk­eitsprüfun­g mal nicht einig, hilft Brinkhaus aus. Aber die großen Konfliktli­nien, „die haben wir hier jetzt natürlich nicht“. Union und SPD hätten zusammen schon„viel über die Rampe geschoben“, auch bei der Grundrente sei er ganz „tiefenents­pannt“.

Nahles wiederum rüstet bei der Co2-steuer ab, die viele in der Union ablehnen. Die SPD arbeite an einem Modell, das aber realistisc­h sein müsse, sagt die Spd-chefin. Sie sagt sogar zu, dass „wir uns in dieser Koalition mit dem Thema Unternehme­nsteuern beschäftig­en werden“, ein Herzensanl­iegen der Union. Einzig mit dem CSU-KRAwallkur­s bei der Grundsteue­r ist Nahles unzufriede­n.

Dafür kann aber Brinkhaus nichts. Unlängst wurde ihm von „Spiegel“-journalist Markus Feldenkirc­hen attestiert, zu den „kuscheligs­ten Vertretern dieser Koalition“zu gehören. Auch beim DIHK tut sein Harmonieku­rs fast schon weh. Eine große Steuerrefo­rm, die er als Finanzpoli­tiker vehement gefordert hatte, steht für ihn als Fraktionsc­hef jetzt nicht mehr ganz oben. Auch beim Soli-abbau hält er sich bescheiden an den Koalitions­vertrag.

Nach Wahlkampf klingt das alles nicht. Nächste Woche komme wohl noch die steuerlich­e Forschungs­förderung für Unternehme­n ins Kabinett, verspreche­n beide einträchti­g den Mittelstän­dlern im Publikum. „Wir kriegen eigentlich mehr hin, als so erzählt wird“, sagt Brinkhaus. „Ja, genau“, pflichtet ihm Nahles bei.

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FOTO: DPA Andrea Nahles (SPD) und Ralph Brinkhaus (CDU) unterwegs zur Podiumsdis­kussion „Ein Jahr Groko“beim Industrie- und Handelskam­mertag.

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