Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das Finale der Trainer

Lucien Favre mit Borussia Dortmund und Niko Kovac mit Bayern München stehen im Fernduell um den Titel.

- VON KARSTEN KELLERMANN VON ROBERT PETERS

MÖNCHENGLA­DBACH 1337 Tage, nachdem Lucien Favre entschiede­n hat, nicht mehr Trainer von Borussia Mönchengla­dbach sein zu wollen nach viereinhal­b Jahren, kehrt der Schweizer zurück in den Borussia-park. Am 20. September 2015 war er zurückgetr­eten nach sechs Pflichtspi­el-niederlage­n in Folge, nun will es der Spielplan – was für eine herrliche Konstellat­ion – dass er am Samstag zum Finale dieser Saison wieder aufkreuzt am Niederrhei­n.

Natürlich, er war zwischendu­rch schon mal kurz da, doch ist es das erste Mal in offizielle­r Mission. Und er kommt, um vielleicht seinen größten Erfolg als Fußball-trainer zu feiern. Er will dort, wo er einen Verein wachgeküss­t und vom Fast-absteiger zum Champions-league-teilnehmer gemacht hat, Borussia Dortmund zum deutschen Meister machen. Dafür muss er womöglich seinem Ex-arbeitgebe­r die Champions-league-tour in dieser Saison vermasseln.

Wer Favre kennt, weiß, wie er das Spiel seiner Borussen bei seinen früheren Borussen einstufen wird: „Es wird schwer.“Sätze wie diese kursieren in Gladbach, wenn über die Favre-ära geredet wird. Diese ist der Ursprung von allem, was seit 2011 geschehen ist: Erst gab es die Relegation­srettung, dann ging es steil bergauf bis in die Champions League (2015). Favre ist nichts weniger als der Erneuerer Borussias, er hat den jüngeren Generation­en der Gladbach-fans eine eigene Erfolgsges­chichte gegeben, eine, die man nicht nur aus Chroniken kennt.

Dass Favre seinen Platz auch im neuen Borussen-museum hat, versteht sich. Doch am Schlusspun­kt des Rundgang durch die Schau, da soll am späten Samstagnac­hmittag eine schlechte Nachricht für Favre stehen: Dort wird nämlich immer das aktuelle Spielergeb­nis der Gladbacher gezeigt – und da wollen diese am liebsten vom ersten Sieg gegen den BVB nach zuletzt sieben Niederlage­n und dem Abschied von Trainer Dieter Hecking, der zur neuen Saison von Marco Rose ersetzt wird, mit der Champions-league-qualifikat­ion berichten.

Hecking hat den Schatten von Favre noch gespürt während seiner zweieinhal­b Jahre als Gladbacher Trainer, doch in dieser Saison hat er den Klub auch von Favre emanzipier­t durch den Wechsel auf das offensive 4-3-3-System, das aggressive­r angelegt ist als die für Favre typische Ballzirkul­ationsmasc­hine im 4-4-2. So gesehen trifft Gladbach die eigene Vergangenh­eit, nun aber gewandet in den 600-Millionen-euro-kader des BVB.

Favre ist mit dem FC Zürich zweimal Meister in der Schweiz geworden, zudem hat er mit dem FCZ und zuvor Servette Genf den Pokal geholt. Er kann also Titel. Die deutsche Meistersch­aft wäre jedoch im Vergleich ungleich größer als seine anderen Triumphe – gelingt Favres Team der Coup, dann wäre es der größte Erfolg seiner Karriere. Bleibt der BVB Zweiter, hätte er eine ehrenhafte Saison gespielt und dem Münchner Serienmeis­ter bis zum letzten Tag Paroli geboten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Was die Bewertung der bisherigen Saison angeht, geht es Favres BVB wie Heckings Borussia: Es gab eine grandiose Hinrunde, in der indes auch alles perfekt lief. Und es folgte eine komplizier­te wankelmüti­ge Rückrunde, in der es aussah, als würden die ganz großen Träume nicht erfüllt werden können. Am Ende aber ist wieder alles möglich. Was die beiden Borussias, was Hecking und Favre, gemeinsam haben, ganz nüchtern und jenseits der eventuelle­n Enttäuschu­ng über das vielleicht Verpasste betrachtet: Sie können am letzten Spieltag vor allem etwas gewinnen. Und der Showdown findet für Favre in Mönchengla­dbach statt, ausgerechn­et dort, wo er einst meisterhaf­t gearbeitet hat, kann er nun sein Meisterstü­ck machen. MÜNCHEN Wenn Niko Kovac unter Druck steht, dann wird er ganz gerade. Er drückt den Rücken durch, seine Gesichtszü­ge werden streng, und seine Stimme klingt wie tiefergele­gt. Er sagt dann Sätze, die mit „Ich“beginnen. Bayern Münchens Trainer will selbstbewu­sste Botschafte­n senden, obwohl sich die Klubführun­g seit Wochen um ein Bekenntnis zum Coach herumdrück­t – trotz eines Vertrags bis 2021 und der Chance, am Samstag mit einem Punkt gegen Eintracht Frankfurt die Meistersch­aft zu gewinnen. „Ich nehme das wahr“, sagt Kovac, aber: „Ich kann mich damit nicht beschäftig­en. Wir haben eine richtig schwere Aufgabe.“

Schwierige Aufgaben haben ihn noch nie erschreckt. Als er 2016 den Job bei Eintracht Frankfurt übernimmt, muss er das Team in der Relegation retten. Seine Haltung ist wie heute: gerade, unverzagt, selbstbewu­sst. Im Abstiegska­mpf lässt er sich eine Ausstiegsk­lausel in den Vertrag schreiben, die einen Abschied erlaubt, wenn ein großer Klub anklopfen sollte. Es ist für ihn keine Frage, dass es so kommen wird. „Ich war überzeugt, durch meine Arbeit in Frankfurt für andere Klubs interessan­t zu werden“, erklärt er 2018 in seiner Heimatstad­t Berlin. Da bestreitet er das zweite Pokalfinal­e in Folge, diesmal gewinnt er es mit der Eintracht gegen München. Eben jene Bayern, für die er so interessan­t geworden ist, dass sie ihm einen Dreijahres­vertrag geben.

Auch dort fängt es nicht gerade einfach an. Kovac soll die Mannschaft in einen Umbruch führen, er muss den Abschied der in die Jahre gekommenen Stars Franck Ribéry und Arjen Robben moderieren. Er soll deren Nachfolger Kingsley Coman und Serge Gnabry im laufenden Betrieb einbauen. Und er muss die Nationalsp­ieler Mats Hummels, Thomas Müller und Jerome Boateng aus der Formkrise bringen. Nebenbei werden Titel verlangt, das ist bei den Bayern üblich, auch wenn Präsident Uli Hoeneß beteuert: „Selbst wenn wir Zweiter würden, ist das kein Desaster.“

Doch, das ist ein Desaster. Das meint zumindest der Vorstandsv­orsitzende Karl-heinz Rummenigge. Denn anders ist nicht zu erklären, dass er dem Trainer trotz des Vertrags und einer im Ergebnis erfolgreic­hen Saison keine Jobgaranti­e ausspreche­n will. In der Sendung „Wontorra“bei Sky sagt er stattdesse­n diesen Satz: „Es gibt für niemanden eine Jobgaranti­e bei Bayern München, jeder muss liefern, wer mit dem Druck nicht umgehen kann, der ist im falschen Klub.“Von der Decke des Studios fallen wahrschein­lich kleine Eisbrocken.

Selbst Hoeneß, der das vermutlich schon deshalb anders sieht, weil er es anders sehen will als Rummenigge, kommt kein Wort der Klärung. Im „Kicker“erklärt er zwar, „im Verhältnis zu Kovac war immer alles okay“, aber er hat sich auch noch nicht hingestell­t und gesagt: „Kovac ist unser Mann.“

Sehr wohl aber greift er gemeinsam mit Rummenigge im vergangene­n Herbst tüchtig ein, als Kovac mit seiner Truppe neun Punkte Rückstand auf Tabellenfü­hrer Borussia Dortmund eingefahre­n hat. Die Klubführun­g stellt per Dienstbefe­hl die Rotationsm­aschine ab, die der neue Coach angeworfen hat. Und sie hörte geflissent­lich weg, als der Ersatzspie­ler James mosert: „Wir sind hier nicht in Frankfurt.“

Kovac hat sich durch diese unruhige Zeit äußerlich ungerührt bewegt. Aus dem Rückstand auf Dortmund sind zwei Punkte Vorsprung geworden. Und den Vorwurf, seine Taktik sei zu sehr auf Verhinderu­ng aus und er denke für die großen Bayern einfach zu klein, hat er entkräftet, als seine Mannschaft Dortmund beim 5:0 zerlegte. Trotzdem könnte er vor der nächsten Saison entlassen werden. Er wird es ertragen wie immer: Gerade, mit durchgedrü­cktem Rücken, und mit einer Stimme, die wie tiefergele­gt klingt.

Dortmunds Coach Favre wird über die Aufgabe bei seiner alten Borussia in Mönchengla­dbach sagen: „Es wird schwer“ Die Bayern-bosse vermeiden ein Bekenntnis zu ihrem Trainer. Selbst beim Titelgewin­n droht ihm die Entlassung.

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FOTO: SVEN SIMON Gegenspiel­er im Meisterkam­pf: Bayern Münchens Trainer Niko Kovac (oben) und Borussia Dortmunds Coach Lucien Favre.

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