Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Das Finale der Trainer
Lucien Favre mit Borussia Dortmund und Niko Kovac mit Bayern München stehen im Fernduell um den Titel.
MÖNCHENGLADBACH 1337 Tage, nachdem Lucien Favre entschieden hat, nicht mehr Trainer von Borussia Mönchengladbach sein zu wollen nach viereinhalb Jahren, kehrt der Schweizer zurück in den Borussia-park. Am 20. September 2015 war er zurückgetreten nach sechs Pflichtspiel-niederlagen in Folge, nun will es der Spielplan – was für eine herrliche Konstellation – dass er am Samstag zum Finale dieser Saison wieder aufkreuzt am Niederrhein.
Natürlich, er war zwischendurch schon mal kurz da, doch ist es das erste Mal in offizieller Mission. Und er kommt, um vielleicht seinen größten Erfolg als Fußball-trainer zu feiern. Er will dort, wo er einen Verein wachgeküsst und vom Fast-absteiger zum Champions-league-teilnehmer gemacht hat, Borussia Dortmund zum deutschen Meister machen. Dafür muss er womöglich seinem Ex-arbeitgeber die Champions-league-tour in dieser Saison vermasseln.
Wer Favre kennt, weiß, wie er das Spiel seiner Borussen bei seinen früheren Borussen einstufen wird: „Es wird schwer.“Sätze wie diese kursieren in Gladbach, wenn über die Favre-ära geredet wird. Diese ist der Ursprung von allem, was seit 2011 geschehen ist: Erst gab es die Relegationsrettung, dann ging es steil bergauf bis in die Champions League (2015). Favre ist nichts weniger als der Erneuerer Borussias, er hat den jüngeren Generationen der Gladbach-fans eine eigene Erfolgsgeschichte gegeben, eine, die man nicht nur aus Chroniken kennt.
Dass Favre seinen Platz auch im neuen Borussen-museum hat, versteht sich. Doch am Schlusspunkt des Rundgang durch die Schau, da soll am späten Samstagnachmittag eine schlechte Nachricht für Favre stehen: Dort wird nämlich immer das aktuelle Spielergebnis der Gladbacher gezeigt – und da wollen diese am liebsten vom ersten Sieg gegen den BVB nach zuletzt sieben Niederlagen und dem Abschied von Trainer Dieter Hecking, der zur neuen Saison von Marco Rose ersetzt wird, mit der Champions-league-qualifikation berichten.
Hecking hat den Schatten von Favre noch gespürt während seiner zweieinhalb Jahre als Gladbacher Trainer, doch in dieser Saison hat er den Klub auch von Favre emanzipiert durch den Wechsel auf das offensive 4-3-3-System, das aggressiver angelegt ist als die für Favre typische Ballzirkulationsmaschine im 4-4-2. So gesehen trifft Gladbach die eigene Vergangenheit, nun aber gewandet in den 600-Millionen-euro-kader des BVB.
Favre ist mit dem FC Zürich zweimal Meister in der Schweiz geworden, zudem hat er mit dem FCZ und zuvor Servette Genf den Pokal geholt. Er kann also Titel. Die deutsche Meisterschaft wäre jedoch im Vergleich ungleich größer als seine anderen Triumphe – gelingt Favres Team der Coup, dann wäre es der größte Erfolg seiner Karriere. Bleibt der BVB Zweiter, hätte er eine ehrenhafte Saison gespielt und dem Münchner Serienmeister bis zum letzten Tag Paroli geboten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Was die Bewertung der bisherigen Saison angeht, geht es Favres BVB wie Heckings Borussia: Es gab eine grandiose Hinrunde, in der indes auch alles perfekt lief. Und es folgte eine komplizierte wankelmütige Rückrunde, in der es aussah, als würden die ganz großen Träume nicht erfüllt werden können. Am Ende aber ist wieder alles möglich. Was die beiden Borussias, was Hecking und Favre, gemeinsam haben, ganz nüchtern und jenseits der eventuellen Enttäuschung über das vielleicht Verpasste betrachtet: Sie können am letzten Spieltag vor allem etwas gewinnen. Und der Showdown findet für Favre in Mönchengladbach statt, ausgerechnet dort, wo er einst meisterhaft gearbeitet hat, kann er nun sein Meisterstück machen. MÜNCHEN Wenn Niko Kovac unter Druck steht, dann wird er ganz gerade. Er drückt den Rücken durch, seine Gesichtszüge werden streng, und seine Stimme klingt wie tiefergelegt. Er sagt dann Sätze, die mit „Ich“beginnen. Bayern Münchens Trainer will selbstbewusste Botschaften senden, obwohl sich die Klubführung seit Wochen um ein Bekenntnis zum Coach herumdrückt – trotz eines Vertrags bis 2021 und der Chance, am Samstag mit einem Punkt gegen Eintracht Frankfurt die Meisterschaft zu gewinnen. „Ich nehme das wahr“, sagt Kovac, aber: „Ich kann mich damit nicht beschäftigen. Wir haben eine richtig schwere Aufgabe.“
Schwierige Aufgaben haben ihn noch nie erschreckt. Als er 2016 den Job bei Eintracht Frankfurt übernimmt, muss er das Team in der Relegation retten. Seine Haltung ist wie heute: gerade, unverzagt, selbstbewusst. Im Abstiegskampf lässt er sich eine Ausstiegsklausel in den Vertrag schreiben, die einen Abschied erlaubt, wenn ein großer Klub anklopfen sollte. Es ist für ihn keine Frage, dass es so kommen wird. „Ich war überzeugt, durch meine Arbeit in Frankfurt für andere Klubs interessant zu werden“, erklärt er 2018 in seiner Heimatstadt Berlin. Da bestreitet er das zweite Pokalfinale in Folge, diesmal gewinnt er es mit der Eintracht gegen München. Eben jene Bayern, für die er so interessant geworden ist, dass sie ihm einen Dreijahresvertrag geben.
Auch dort fängt es nicht gerade einfach an. Kovac soll die Mannschaft in einen Umbruch führen, er muss den Abschied der in die Jahre gekommenen Stars Franck Ribéry und Arjen Robben moderieren. Er soll deren Nachfolger Kingsley Coman und Serge Gnabry im laufenden Betrieb einbauen. Und er muss die Nationalspieler Mats Hummels, Thomas Müller und Jerome Boateng aus der Formkrise bringen. Nebenbei werden Titel verlangt, das ist bei den Bayern üblich, auch wenn Präsident Uli Hoeneß beteuert: „Selbst wenn wir Zweiter würden, ist das kein Desaster.“
Doch, das ist ein Desaster. Das meint zumindest der Vorstandsvorsitzende Karl-heinz Rummenigge. Denn anders ist nicht zu erklären, dass er dem Trainer trotz des Vertrags und einer im Ergebnis erfolgreichen Saison keine Jobgarantie aussprechen will. In der Sendung „Wontorra“bei Sky sagt er stattdessen diesen Satz: „Es gibt für niemanden eine Jobgarantie bei Bayern München, jeder muss liefern, wer mit dem Druck nicht umgehen kann, der ist im falschen Klub.“Von der Decke des Studios fallen wahrscheinlich kleine Eisbrocken.
Selbst Hoeneß, der das vermutlich schon deshalb anders sieht, weil er es anders sehen will als Rummenigge, kommt kein Wort der Klärung. Im „Kicker“erklärt er zwar, „im Verhältnis zu Kovac war immer alles okay“, aber er hat sich auch noch nicht hingestellt und gesagt: „Kovac ist unser Mann.“
Sehr wohl aber greift er gemeinsam mit Rummenigge im vergangenen Herbst tüchtig ein, als Kovac mit seiner Truppe neun Punkte Rückstand auf Tabellenführer Borussia Dortmund eingefahren hat. Die Klubführung stellt per Dienstbefehl die Rotationsmaschine ab, die der neue Coach angeworfen hat. Und sie hörte geflissentlich weg, als der Ersatzspieler James mosert: „Wir sind hier nicht in Frankfurt.“
Kovac hat sich durch diese unruhige Zeit äußerlich ungerührt bewegt. Aus dem Rückstand auf Dortmund sind zwei Punkte Vorsprung geworden. Und den Vorwurf, seine Taktik sei zu sehr auf Verhinderung aus und er denke für die großen Bayern einfach zu klein, hat er entkräftet, als seine Mannschaft Dortmund beim 5:0 zerlegte. Trotzdem könnte er vor der nächsten Saison entlassen werden. Er wird es ertragen wie immer: Gerade, mit durchgedrücktem Rücken, und mit einer Stimme, die wie tiefergelegt klingt.
Dortmunds Coach Favre wird über die Aufgabe bei seiner alten Borussia in Mönchengladbach sagen: „Es wird schwer“ Die Bayern-bosse vermeiden ein Bekenntnis zu ihrem Trainer. Selbst beim Titelgewinn droht ihm die Entlassung.