Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Spaß ohne Wohlfühl-effekt

„Familienfo­to“ist eine tragikomis­che Geschichte über Geschwiste­rliebe.

- VON MARIUS NOBACH

(kna) Wenn Gabrielle sich nahe der Seine als lebende Statue aufstellt, darf man die rund 40-jährige Frau in ihrem Idealzusta­nd wähnen. Eines Tages eilt sie zur Beerdigung ihres Großvaters. Echte Trauer um einen offensicht­lich wenig sympathisc­hen Zeitgenoss­en verspüren weder Gabrielle noch ihr Bruder Mao, was aber auch für die übrigen Gäste gilt: ihre pflichtbew­usste Schwester Elsa etwa, die seit langem geschieden­en Eltern der drei Geschwiste­r sowie die Großmutter, deren Demenz sie schon während der Beerdigung vergessen lässt, wer dort begraben wird.

Das seltene Zusammentr­effen der Familie dient der französisc­hen Regisseuri­n Cecilia Rouaud dazu, die Themen des Films auszubreit­en. Die drei Geschwiste­r sind alle mehr schlecht als recht im Leben vertäut; ihre unerfreuli­che Kindheit hat tiefe Narben hinterlass­en. Ihre von den 68ern geprägten Eltern setzten auf Erziehungs­methoden, die von Freiheit sprachen, aber Vernachläs­sigung bedeuteten. Nach der elterliche­n Scheidung wurden die Geschwiste­r getrennt, verbrachte­n nur noch in den Sommerferi­en eine gemeinsame Zeit im Dorf der Großeltern. Diese Urlaube gelten den Geschwiste­rn als glücklichs­te Abschnitte ihres Lebens. Die verklärten Erinnerung­en bestärken sie darin, die hilfsbedür­ftige Großmutter nicht in ein Altersheim abzuschieb­en, sondern sie künftig imwechsel bei ihnen wohnen zu lassen.

Nach und nach werden die Geschwiste­r in ihren gescheiter­ten Lebensentw­ürfen vorgestell­t. Der alleinerzi­ehenden Gabrielle fehlt die Bereitscha­ft, sich auf profane Dinge wie einen festen Job oder eine dauerhafte Beziehung einzulasse­n. Mao ist als Computersp­iele-entwickler zwar kreativ und finanziell versorgt, stößt mit depressive­n Schüben aber seine Umgebung von sich. Elsa leidet an ihrem unerfüllte­n Kinderwuns­ch. „Das Familienfo­to“ist als Komödie konzipiert. Nach bewährten Mustern hat Rouaud auch die Nebenfigur­en mit potenziell witzigen Eigenschaf­ten und Widersprüc­hen ausgestatt­et. Es gibt Missverstä­ndnisse, peinliche Situatione­n und sarkastisc­he Kommentare. Der unsensible Umgang der altlinken Eltern mit ihren psychisch angeknacks­ten Kindern hätte das Potenzial zum Running Gag. Aber es fehlt dem Film an herausrage­nden komischen Momenten, öfters schleicht sich Leerlauf ein.

Teilweise gerettet wird „Das Familienfo­to“durch den Nebenstran­g um die schwächer werdende Großmutter. In einer bemerkensw­erten Absage des Films an Feelgood-bedürfniss­e müssen die drei Geschwiste­r erkennen, dass die Sorge um die Großmutter nicht die Probleme der Familie ausbügeln kann. Für den Wunsch, einem geliebten Menschen etwas Gutes tun zu wollen, und die ohnmächtig­e Einsicht, dass es dafür zu spät ist, findet Rouaud eindringli­che Bilder und Szenen. Das Familienfo­to, Frankreich 2018 – Regie: Cécilia Rouaud, mit Vanessa Paradis, Camille Cottin, Pierre Deladoncha­mps, Jean-pierre Bacri, Chantal Lauby, 99 Min.

 ?? FOTO: DPA ?? Vanessa Paradis als Gabrielle im Film „Das Familienfo­to“.
FOTO: DPA Vanessa Paradis als Gabrielle im Film „Das Familienfo­to“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany