Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Nachbarn im Krieg

Horror des Alltags: „Under the Tree“bietet schwarzen Humor vom Feinsten.

- VON MICHAEL RANZE

(kna) Zwei Reihenhäus­er in dervorstad­t von Reykjavik. Es ist Frühling, die Sonne scheint, und Eybjorg, die junge Frau von Konrad, würde sich gern auf ihrem Liegestuhl im Vorgarten bräunen. Allerdings wirft der große Baum ihrer Nachbarn Baldvin und Inga einen langen Schatten. Nur vereinzelt glitzert die Sonne durch die Blätter und vollführt ein freches Lichtermob­ile, das – wie zum Hohn für Eybjorg – die entgangene­n Sonnenfreu­den noch deutlicher macht. Konrads Bitte, die Äste zu stutzen, wird von den Nachbarn ruppig abgelehnt. Inga kann ihre Verachtung für die attraktive Eybjorg nicht verhehlen.

Erschwert wird das nachbarsch­aftliche Zusammenle­ben außerdem durch Atli, Baldvins und Ingas erwachsene­n Sohn, der von seiner Frau Karin wegen angebliche­r Untreue auf die Straße gesetzt wurde. Ein selbstgedr­ehter Pornofilm, bei dem Atli mit seiner Ex in Aktion zu sehen ist, gilt ihr als Beweis.

Nun ist Atli wieder bei seinen Eltern eingezogen; der Nachbarsch­aftszwist tangiert ihn kaum. Aber als Konrad morgens in sein Auto steigen will, sind alle vier Reifen zerstochen. Inga hingegen kann ihre Katze nicht finden. Haben die Nachbarn etwas mit ihrem Verschwind­en zu tun? Und warum hält Konrad demonstrat­iv seine neu erworbene Kettensäge hoch? Überwachun­gskameras sollen für Aufklärung sorgen. Doch damit geht der Ärger erst richtig los.

„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“, wusste schon Schiller. Diese Prämisse exerziert der isländisch­e Regisseur Hafsteinn Gunnar Sigurdsson wunderbar hinterhält­ig durch. Eine Komödie soll es sein, doch die Spirale, die hier in Gang gesetzt wird, ist eher böse als komisch, eher absurd als amüsant. Der Humor ist manchmal so trocken und kühl, dass er kaum zu erkennen ist. Manche Szenen könnten in ihrer erschrecke­nden Konsequenz sogar aus einem Horrorfilm stammen.

„Under the Tree“ist eine bittere Satire über die Feindselig­keit, zu der Menschen fähig sind, über das Bedürfnis, sich zu entrüsten, und über die Trägheit des Herzens, sein Lebensglüc­k zu verfolgen. Sigurdsson macht dies besonders an der Person von Inga fest, die von Edda Björgvinsd­ottir in ihrer Verhärtung und Bösartigke­it mit kalten, blitzenden Augen bravourös dargestell­t wird.

Mit rücksichts­los-unfreundli­chen Sprüchen traktiert sie ihr Gegenüber, ohne je die verletzend­en Folgen zu bedenken. Der Hass auf ihre Mitmensche­n ist notdürftig durch das mysteriöse Verschwind­en ihres ältesten Sohnes begründet, dessen Wagen in der Einfahrt gleichwohl von seiner Existenz zeugt. Eybjorg und Konrad hingegen wünschen sich sehnlichst Nachwuchs und verhalten sich entspreche­nd übereifrig.

Mit diesen familiären­verwicklun­gen, die gelegentli­ch nicht einmal eine inhaltlich­e Verankerun­g haben, wirkt der Film etwas überladen. „Under the Tree“wäre dramatisch­er ausgefalle­n, wenn sich Sigurdsson auf den Nachbarsch­aftsstreit konzentrie­rt und die Spirale der Gemeinheit­en ein wenig mehr angezogen hätte. Hier liegt die Stärke des Films, sein Unterhaltu­ngswert und Identifika­tionspoten­zial. Under the Tree, Island 2017 – Regie: Hafsteinn Gunnar Sigurðsson, mit Steinþór Hróar Steinþórss­on, Edda Björgvinsd­óttir, Sigurður Sigurjónss­on, 89 Min.

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FOTO: VERLEIH Großartig: Edda Björgvinsd­óttir als verbiester­te Inga.

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