Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Nachbarn im Krieg
Horror des Alltags: „Under the Tree“bietet schwarzen Humor vom Feinsten.
(kna) Zwei Reihenhäuser in dervorstadt von Reykjavik. Es ist Frühling, die Sonne scheint, und Eybjorg, die junge Frau von Konrad, würde sich gern auf ihrem Liegestuhl im Vorgarten bräunen. Allerdings wirft der große Baum ihrer Nachbarn Baldvin und Inga einen langen Schatten. Nur vereinzelt glitzert die Sonne durch die Blätter und vollführt ein freches Lichtermobile, das – wie zum Hohn für Eybjorg – die entgangenen Sonnenfreuden noch deutlicher macht. Konrads Bitte, die Äste zu stutzen, wird von den Nachbarn ruppig abgelehnt. Inga kann ihre Verachtung für die attraktive Eybjorg nicht verhehlen.
Erschwert wird das nachbarschaftliche Zusammenleben außerdem durch Atli, Baldvins und Ingas erwachsenen Sohn, der von seiner Frau Karin wegen angeblicher Untreue auf die Straße gesetzt wurde. Ein selbstgedrehter Pornofilm, bei dem Atli mit seiner Ex in Aktion zu sehen ist, gilt ihr als Beweis.
Nun ist Atli wieder bei seinen Eltern eingezogen; der Nachbarschaftszwist tangiert ihn kaum. Aber als Konrad morgens in sein Auto steigen will, sind alle vier Reifen zerstochen. Inga hingegen kann ihre Katze nicht finden. Haben die Nachbarn etwas mit ihrem Verschwinden zu tun? Und warum hält Konrad demonstrativ seine neu erworbene Kettensäge hoch? Überwachungskameras sollen für Aufklärung sorgen. Doch damit geht der Ärger erst richtig los.
„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“, wusste schon Schiller. Diese Prämisse exerziert der isländische Regisseur Hafsteinn Gunnar Sigurdsson wunderbar hinterhältig durch. Eine Komödie soll es sein, doch die Spirale, die hier in Gang gesetzt wird, ist eher böse als komisch, eher absurd als amüsant. Der Humor ist manchmal so trocken und kühl, dass er kaum zu erkennen ist. Manche Szenen könnten in ihrer erschreckenden Konsequenz sogar aus einem Horrorfilm stammen.
„Under the Tree“ist eine bittere Satire über die Feindseligkeit, zu der Menschen fähig sind, über das Bedürfnis, sich zu entrüsten, und über die Trägheit des Herzens, sein Lebensglück zu verfolgen. Sigurdsson macht dies besonders an der Person von Inga fest, die von Edda Björgvinsdottir in ihrer Verhärtung und Bösartigkeit mit kalten, blitzenden Augen bravourös dargestellt wird.
Mit rücksichtslos-unfreundlichen Sprüchen traktiert sie ihr Gegenüber, ohne je die verletzenden Folgen zu bedenken. Der Hass auf ihre Mitmenschen ist notdürftig durch das mysteriöse Verschwinden ihres ältesten Sohnes begründet, dessen Wagen in der Einfahrt gleichwohl von seiner Existenz zeugt. Eybjorg und Konrad hingegen wünschen sich sehnlichst Nachwuchs und verhalten sich entsprechend übereifrig.
Mit diesen familiärenverwicklungen, die gelegentlich nicht einmal eine inhaltliche Verankerung haben, wirkt der Film etwas überladen. „Under the Tree“wäre dramatischer ausgefallen, wenn sich Sigurdsson auf den Nachbarschaftsstreit konzentriert und die Spirale der Gemeinheiten ein wenig mehr angezogen hätte. Hier liegt die Stärke des Films, sein Unterhaltungswert und Identifikationspotenzial. Under the Tree, Island 2017 – Regie: Hafsteinn Gunnar Sigurðsson, mit Steinþór Hróar Steinþórsson, Edda Björgvinsdóttir, Sigurður Sigurjónsson, 89 Min.