Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Mister Bonn“wird 90
Friedrich Nowottny war lange Leiter des Ard-hauptstadtstudios. Mit einem Spitzenpolitiker von damals steht noch eine Aussprache aus.
BONN (dpa) Friedrich Nowottny muss erstmal sein Tablet vom Tisch räumen. Darunter liegen Tageszeitungen. Der ehemalige Fernsehjournalist mag am Donnerstag seinen 90. Geburtstag feiern, aber er ist über das aktuelle Geschehen immer noch voll auf dem Laufenden.
Nowottny war in den 70er und in der ersten Hälfte der 80er Jahre der Leiter des Ard-hauptstadtstudios. Das hieß damals nur noch nicht so, denn die Bundesrepublik besaß lediglich eine provisorische Hauptstadt, und dort hielt man sich etwas auf seine Bescheidenheit zugute. „Wenn wir mal eine Exklusiv-meldung hatten, dann wurde in der„tagesschau“nur gesagt: ‚Wie unser Bonner Büro meldet ...’ Büro, noch nicht mal Studio!“
Während er das sagt, schmunzelt er, so wie damals als „Bericht aus Bonn“-moderator. Er pflegte die Sendung mit einer leicht ironischen oder zumindest hintergründigen Bemerkung abzuschließen, gefolgt von „Auf Wiedersehen – das Wetter!“Der Fernsehzuschauer ging dann mit der Gewissheit ins Bett, die Bundespolitik wieder einmal völlig durchblickt zu haben.
„Mister Bonn“nannte man ihn damals. Und in Bonn wohnt er auch heute noch – oder wieder: Ihr kleines Reihenhaus in der Gemeinde Swisttal haben seine Frau und er vor einem Jahr aufgegeben, weil sie den Garten nicht mehr bewältigen konnten. Jetzt leben sie in einerwohnung mit Aufzug in der Bonner Südstadt. Während des Gesprächs ruft seine Frau an und erkundigt sich, ob er die Einkäufe erledigt habe. Ja, hat er alles gemacht: „Was sie wollte, ist geschehen.“
Nowottny hat sich gut gehalten. „Ich bin ganz gut drauf“, ist seine Bilanz zum 90. Geburtstag am Donnerstag. Jeden Tag steht er um sieben Uhr morgens auf und geht erst gegen Mitternacht ins Bett.
Ganz in der Nähe wohnt übrigens ein anderer Dinosaurier der Bonner Republik, Helmut Kohls Arbeitsminister Norbert Blüm. Den habe er noch nie besucht, müsse das aber unbedingt mal tun, sagt Nowottny. Im Raum stehe immer noch eine „Kriegserklärung“, die Blüm ihm vor vielen Jahren mal telefonisch übermittelt habe – aus Ärger über einen kritischen Wdr-bericht. Das war in der Zeit, als Nowottny Intendant des Senders war, von 1985 bis 1995. Ein Angebot von Kanzler Kohl, bei ihm Regierungssprecher und Staatssekretär zu werden, hatte er ausgeschlagen.
Viele ältere Menschen erzählen gern von früher – Nowottny nicht. Er scheint ganz in der Gegenwart zu leben. Noch immer nimmt er im Gespräch ganz selbstverständlich die aktuelle Politik durch („Das ist eine sehr spannende Zeit gerade“), macht zwischendurch einen Schlenker zur Bundesliga („Was sagen Sie zu Schalke?“), erörtert die schwierige Lage der Medien („Ich staune immer, was die Kollegen von den Zeitungen noch alles hinbekommen“) und erzählt von den Enkelkindern. Der älteste Enkel liebäugelte zeitweise damit, Journalist zu werden. „Ich habe ihm gesagt: Lern‘ erstmal einen Butter-und-brot-beruf!“
Auf seine Tv-vergangenheit muss man ihn gezielt ansprechen, er selbst fängt nicht davon an. Und wenn er erzählt, dann nicht von seinen großen Erfolgen, sondern zum Beispiel von dem daneben gegangenen Willy-brandt-interview, das später ein Hit auf Youtube wurde. Er sollte den Spd-kanzler 1972 für die„tagesschau“befragen, aber nur eineinhalb Minuten lang. Über diese Beschränkung war Brandt dermaßen verärgert, dass er nur mit „ja“, „nein“und„doch“antwortete.„der ließ mich voll auflaufen.“
Nur wenig in seiner Wohnung erinnert an seine frühere Prominenz. Am auffälligsten ist ein Bild aus dem Kult-zeichentrickfilm von Loriot, in dem der Humorist Bundeskanzler Helmut Schmidt als eines seiner typischen Knollenmännchen darstellte, interviewt von Nowottny. Außerdem steht auf demwohnzimmerschrank noch ein Bambi. „Der ist doch nicht echt, oder?“, hat ihn mal ein Mann gefragt, der ihm nach dem Umzug in der Wohnung half. Nur Ältere kennen ihn ja noch.
Wie feiert er eigentlich seinen Neunzigsten? Klein natürlich, mit der Familie. Wdr-intendant Tom Buhrow habe angeboten, zu seinen Ehren einen Empfang zu geben. Aber das habe er dankend abgesagt. Er selbst kenne ja nur noch wenige Leute im Sender. Und Buhrow habe bestimmt Wichtigeres zu tun, als sich mit einem alten Herrn zu unterhalten. Nowottnysches Schmunzeln.„aufwiedersehen.“Fast erwartet man jetzt noch: „Das Wetter!“
„Ich bin ganz gut drauf“, lautet seine Bilanz. Einen großen Empfang lehnte er aber ab
„Guten Abend, das Wetter“, WDR, 21.45 Uhr