Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Mister Bonn“wird 90

Friedrich Nowottny war lange Leiter des Ard-hauptstadt­studios. Mit einem Spitzenpol­itiker von damals steht noch eine Aussprache aus.

- VON CHRISTOPH DRIESSEN

BONN (dpa) Friedrich Nowottny muss erstmal sein Tablet vom Tisch räumen. Darunter liegen Tageszeitu­ngen. Der ehemalige Fernsehjou­rnalist mag am Donnerstag seinen 90. Geburtstag feiern, aber er ist über das aktuelle Geschehen immer noch voll auf dem Laufenden.

Nowottny war in den 70er und in der ersten Hälfte der 80er Jahre der Leiter des Ard-hauptstadt­studios. Das hieß damals nur noch nicht so, denn die Bundesrepu­blik besaß lediglich eine provisoris­che Hauptstadt, und dort hielt man sich etwas auf seine Bescheiden­heit zugute. „Wenn wir mal eine Exklusiv-meldung hatten, dann wurde in der„tagesschau“nur gesagt: ‚Wie unser Bonner Büro meldet ...’ Büro, noch nicht mal Studio!“

Während er das sagt, schmunzelt er, so wie damals als „Bericht aus Bonn“-moderator. Er pflegte die Sendung mit einer leicht ironischen oder zumindest hintergrün­digen Bemerkung abzuschlie­ßen, gefolgt von „Auf Wiedersehe­n – das Wetter!“Der Fernsehzus­chauer ging dann mit der Gewissheit ins Bett, die Bundespoli­tik wieder einmal völlig durchblick­t zu haben.

„Mister Bonn“nannte man ihn damals. Und in Bonn wohnt er auch heute noch – oder wieder: Ihr kleines Reihenhaus in der Gemeinde Swisttal haben seine Frau und er vor einem Jahr aufgegeben, weil sie den Garten nicht mehr bewältigen konnten. Jetzt leben sie in einerwohnu­ng mit Aufzug in der Bonner Südstadt. Während des Gesprächs ruft seine Frau an und erkundigt sich, ob er die Einkäufe erledigt habe. Ja, hat er alles gemacht: „Was sie wollte, ist geschehen.“

Nowottny hat sich gut gehalten. „Ich bin ganz gut drauf“, ist seine Bilanz zum 90. Geburtstag am Donnerstag. Jeden Tag steht er um sieben Uhr morgens auf und geht erst gegen Mitternach­t ins Bett.

Ganz in der Nähe wohnt übrigens ein anderer Dinosaurie­r der Bonner Republik, Helmut Kohls Arbeitsmin­ister Norbert Blüm. Den habe er noch nie besucht, müsse das aber unbedingt mal tun, sagt Nowottny. Im Raum stehe immer noch eine „Kriegserkl­ärung“, die Blüm ihm vor vielen Jahren mal telefonisc­h übermittel­t habe – aus Ärger über einen kritischen Wdr-bericht. Das war in der Zeit, als Nowottny Intendant des Senders war, von 1985 bis 1995. Ein Angebot von Kanzler Kohl, bei ihm Regierungs­sprecher und Staatssekr­etär zu werden, hatte er ausgeschla­gen.

Viele ältere Menschen erzählen gern von früher – Nowottny nicht. Er scheint ganz in der Gegenwart zu leben. Noch immer nimmt er im Gespräch ganz selbstvers­tändlich die aktuelle Politik durch („Das ist eine sehr spannende Zeit gerade“), macht zwischendu­rch einen Schlenker zur Bundesliga („Was sagen Sie zu Schalke?“), erörtert die schwierige Lage der Medien („Ich staune immer, was die Kollegen von den Zeitungen noch alles hinbekomme­n“) und erzählt von den Enkelkinde­rn. Der älteste Enkel liebäugelt­e zeitweise damit, Journalist zu werden. „Ich habe ihm gesagt: Lern‘ erstmal einen Butter-und-brot-beruf!“

Auf seine Tv-vergangenh­eit muss man ihn gezielt ansprechen, er selbst fängt nicht davon an. Und wenn er erzählt, dann nicht von seinen großen Erfolgen, sondern zum Beispiel von dem daneben gegangenen Willy-brandt-interview, das später ein Hit auf Youtube wurde. Er sollte den Spd-kanzler 1972 für die„tagesschau“befragen, aber nur eineinhalb Minuten lang. Über diese Beschränku­ng war Brandt dermaßen verärgert, dass er nur mit „ja“, „nein“und„doch“antwortete.„der ließ mich voll auflaufen.“

Nur wenig in seiner Wohnung erinnert an seine frühere Prominenz. Am auffälligs­ten ist ein Bild aus dem Kult-zeichentri­ckfilm von Loriot, in dem der Humorist Bundeskanz­ler Helmut Schmidt als eines seiner typischen Knollenmän­nchen darstellte, interviewt von Nowottny. Außerdem steht auf demwohnzim­merschrank noch ein Bambi. „Der ist doch nicht echt, oder?“, hat ihn mal ein Mann gefragt, der ihm nach dem Umzug in der Wohnung half. Nur Ältere kennen ihn ja noch.

Wie feiert er eigentlich seinen Neunzigste­n? Klein natürlich, mit der Familie. Wdr-intendant Tom Buhrow habe angeboten, zu seinen Ehren einen Empfang zu geben. Aber das habe er dankend abgesagt. Er selbst kenne ja nur noch wenige Leute im Sender. Und Buhrow habe bestimmt Wichtigere­s zu tun, als sich mit einem alten Herrn zu unterhalte­n. Nowottnysc­hes Schmunzeln.„aufwieders­ehen.“Fast erwartet man jetzt noch: „Das Wetter!“

„Ich bin ganz gut drauf“, lautet seine Bilanz. Einen großen Empfang lehnte er aber ab

„Guten Abend, das Wetter“, WDR, 21.45 Uhr

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Ex-wdr-intendant Friedrich Nowottny in seinem Wohnzimmer ...
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FOTOS: DPA ... und als Studioleit­er von „Bericht aus Bonn“im Jahr 1973.

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