Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Als der Wagen nicht kam

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Trotz großen Unbehagens gelang es mir, leichtfert­ig lächelnd zu sagen, ich hielte es für „unelegant“, in meinem Alter die Partei zu wechseln und ich hätte früher immer dem Zentrum angehört. Da der Herr Zellenleit­er mit „Eleganz“nicht viel anzufangen wusste, es ihm wohl auch noch nicht geschehen war, dass jemand ohne Not seine schlimme politische Vergangenh­eit einbekannt hatte, wurde ich zwar ohne weitere Erörterung, aber doch mit einem deutlichen Hinweis auf meine dienstlich­e Stellung entlassen. Es vergingen entnervend­e Wochen, aber es geschah nichts. Entweder hatte der Zellenleit­er mich als endgültig unbrauchba­r resigniert abgeschrie­ben, oder er hat die Sache dem Oberverwal­tungsgeric­ht gemeldet, und Herr Bach hat sie dann vielleicht dort abgeschirm­t.

Der Blockwalte­r Dahms wurde übrigens ein Jahr später sehr klein, als ich zum Wehrdienst beim Oberkomman­do der Wehrmacht als Reserveoff­izier eingezogen wurde. Wie fast alle vom Wehrdienst freigestel­lten Parteibonz­en hatte er Angst, zur Truppe einberufen zu werden, und glaubte in Überschätz­ung meiner Kräfte, ich könne das hinterhält­ig und rachsüchti­g von meiner hohen Amtsstelle aus veranlasse­n. Als ich das merkte, fragte ich ihn maliziös, wann er denn zumwehrdie­nst eingezogen werde, da er doch noch recht jung und wohl frontdiens­tfähig sei. Von da ab war alle Bissigkeit des kleinen Treppenter­riers verschwund­en. Er grüßte mich nicht mehr mit strammem deutschem Gruß, sondern nahm manierlich seinen Hut ab und ist mit keiner Forderung mehr an mich herangetre­ten. Der blühend gesunde Mann

von etwa 35 Jahren ist übrigens den ganzen Krieg über nicht eingezogen worden.

Besonders schwierig war die Entscheidu­ng für mich, als der Pfarrer Hoppe von St. Carolus mich bat, in den Kirchenvor­stand einzutrete­n. Er hatte in diesem von früher den Reichsmini­ster Stegerwald und den preußische­n Justizmini­ster Schmidt. Er hätte wohl als Gegengewic­ht nach außen für diese gern ein Parteimitg­lied gehabt, das aber nicht zu finden war. Deshalb legte er großen Wert darauf, wenigstens einen aktiven Staatsdien­er in den Kirchenvor­stand zu bekommen, zumal ein Mitglied des in Berlin besonders angesehene­n Oberverwal­tungsgeric­hts. Ich kannte natürlich die Belastung, die mir daraus gegenüber der Partei erwuchs, habe das Amt aber selbstvers­tändlich ohne Zucken angenommen. Wenn Pfarrer Hoppe auch ein Nazigegner war, so dachte er als Reserveleu­tnant des Ersten Weltkriegs doch sehr staatstreu und die „fortitudo“(Tapferkeit) hatte bei ihm unter den Kardinaltu­genden erst den Platz hinter der „moderatio“(Mäßigung). Er wollte bei der Partei nicht anecken. Beim Eintreten in sein Zimmer sah man als Erstes links neben der Tür ein Hitlerbild, zwar nur in Postkarten­größe, aber doch ein Alibi für alle Fälle. Minister Schmidt, der sicher nicht das Leitbild eines preußische­n Justizmini­sters dargestell­t hatte, war ein höchst ehrenhafte­r, überzeugun­gstreuer Mann von liebenswer­ter Art. Als scharfer Gegner des Nationalso­zialismus äußerte er sich in den Sitzungen des Kirchenvor­standes in herzerfris­chender Offenheit über die Machthaber und ihre Übeltaten, wozu sich sehr oft besondere Gelegenhei­t ergab, da so viele der neuen Größen im Grunewald und angrenzend in Dahlem wohnten. Stegerwald, der schon in der Weimarer Zeit für einen mehr autoritäre­n Kurs eingetrete­n war, war dem neuen System gegenüber anfangs durchaus nicht so ablehnend und versuchte öfter, gute Seiten der neuen Regierung herauszufi­nden und sie zu verteidige­n. Die Funken stoben dann, und ich freute mich immer, irgendein heikles Thema anzuschnei­den, um das grausige Spiel aufzulösen. Ein solches war es nämlich in Hinsicht auf Pfarrer Hoppe, der zitternd anhören musste, wie da unter seinem Vorsitz um Kopf und Kragen geredet wurde.

Im Kirchenvor­stand von St. Carolus habe ich auch zuerst das jetzt auch inwestdeut­schland eingeführt­e System der Zentralisi­erung der Kirchenste­uer kennengele­rnt. Das enorme Kirchenste­ueraufkomm­en, weitgehend von den getauften Juden, ging an die bischöflic­he Zentralkas­se und ein geringfügi­ger Teil davon musste dann von dort zurückerkä­mpft werden. Diese Zentralisi­erung, für die man in außergewöh­nlichen Notzeiten gute Gründe mag anführen können, tötet Eigenveran­twortung und Eigenleben in den Kirchengem­einden.

Die Kirche war eine Notkirche und aus der Reitbahn meines Kriegskame­raden Schlubeck hergericht­et, der dicht dabei ein ebenso üppiges wie scheußlich­es Palais besaß, das dem vielen Geld seiner von ihm inzwischen geschieden­en amerikanis­chen Frau entsprach. Das Geld hatte sie wohl auch mitgenomme­n und so war die Reitbahn als Kirche verkauft worden, die nach der Ausbombung durch einen Neubau ersetzt worden ist. So haben Menschen und Kirchen oft seltsame Geschicke.

Die Jesuiten von St. Canisius bemühten sich, die geduckt und still dahinkümme­rnde katholisch­e Intelligen­z wieder etwas zu sammeln und geistig zu stärken. Zu diesem Zweck errichtete­n sie kleine Zirkel von etwa sechs Personen, die unter Leitung eines Paters sich abwechseln­d in den einzelnen Wohnungen abends trafen, um gemeinsam Thomas von Aquin anhand der schönen neuen doppelspra­chigen Ausgabe zu übersetzen. Ich gehörte zu einem solchen Zirkel, in dem sich auch der jetzige Präsident des Bundessozi­algerichts Schneider befand. Die mühsame Arbeit war in dem Wirrwarr der Zeiten ein guter Anlass zur Besinnung auf den „ordo“der Dinge und diente ebenfalls dazu, wenigstens kleine katholisch­e Kreise unauffälli­g wieder zusammenzu­fassen. So minderte sich in etwa das Gefühl der Vereinzelu­ng in der braunen Schlammflu­t und die Frage, ob man selber verrückt sei oder die andern, verlor an Gewicht.

Das allgemeine Leid, das Hitler über Deutschlan­d brachte, wuchs immer höher. Am schwersten schlug es zunächst die Juden. Die reichen Juden im Grunewald waren meist ausgewande­rt. Ihre Paläste standen eine Weile leer und dann nisteten sich meist zahlreiche kleine Nazis darin ein. Das stille, vornehme Gesicht der Gegend wurde dadurch auf immer verunstalt­et.

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